// ein entspanntes, verlängertes wochenende beim „a summers tale 2017“

…und jetzt sitzt du nach vier Festivaltagen wieder zu Hause und hörst eine Schallplatte von Matze Rossi, der eigentlich nur zu Besuch sein wollte beim diesjährigen „A Summers Tale“-Festival vor den Toren Hamburgs. Nun, wahrscheinlich war er ebenso begeistert von der Stimmung vor Ort, wie wir, jedenfalls tritt der Schweinfurter im Laufe des verlängerten Wochenendes […]

…und jetzt sitzt du nach vier Festivaltagen wieder zu Hause und hörst eine Schallplatte von Matze Rossi, der eigentlich nur zu Besuch sein wollte beim diesjährigen „A Summers Tale“-Festival vor den Toren Hamburgs. Nun, wahrscheinlich war er ebenso begeistert von der Stimmung vor Ort, wie wir, jedenfalls tritt der Schweinfurter im Laufe des verlängerten Wochenendes gleich zwei Mal auf. In seinen Auftritten lässt sich dieses Festival dann auch irgendwie zusammenfassen, was gar nicht so einfach ist, weil du hier so viele Möglichkeiten hast dich auszuleben und doch vor allem eines machst: Abschalten vom Alltag.

Matze Rossi jedenfalls freut sich über die vielen Kinder auf dem Festival und die tragen ein gehöriges Stück dazu bei, dass hier alles etwas entspannter abläuft, als auf anderen Festivals. Im Gegensatz zum „Lollapalooza“ in Berlin, das versucht die junge Generation mit der Elterngeneration zu versöhnen und beiden ein maßgeschneidertes Programm zu präsentieren, haben sich die Macher hier entschlossen nur die Elterngeneration anzusprechen, die eigentlich schon lange nicht mehr auf den großen Festivals unterwegs ist. Die Betonung allerdings liegt auf „nicht mehr“ und dieses „nicht mehr“ resultiert aus dem Gefühl, da irgendwie rausgewachsen zu sein und inzwischen eine Familie gegründet zu haben. Matze Rossi geht das wohl ähnlich, er war jedenfalls selbst seit vielen Jahren nicht mehr als Gast auf einem Festival und doch scheint er sich sichtlich aufgehoben zu fühlen hier in diesem durchweg bezaubernden Ambiente.

Woran das liegt? Vor allem wahrscheinlich erstmal an der Liebe zur Musik. Wir sind wohl nicht die einzigen, die den monströsen, durch-getakteten Veranstaltungen nicht mehr allzu viel abgewinnen können. Es ist zwar toll an einem Wochenende gefühlte 50 Bands irgendwie gesehen zu haben, aber noch viel besser ist es zehn Bands wirklich intensiv erlebt zu haben. The Notwist zum Beispiel, die gefühlt noch nie so gut gewesen sind wie an diesem Freitagabend im Zelt, wo gegen Ende auch zu elektronischen Klängen getanzt werden darf, bevor einen der zauberhafte Refrain von „Pilot“ in die Nacht hinaus entlässt.

„Could be enough
If only he’s the pilot
Once a day“

(The Notwist – „Pilot“)

Dafür sind wir hergekommen. Für Momente wie diesen, an den wir uns wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch erinnern werden. Wobei wir an dieser Stelle erst noch einmal zurückspulen möchten. Mittwochabend. Kurz vor 23 Uhr. Hilflos auf dem Gelände herumirrend finden sich dennoch ein paar hilfsbereite Menschen, die einem den Weg zum Zeltplatz weisen. Menschen, die hier nicht ihren Job zu machen scheinen, sondern dazu beitragen, dass sich hier wirklich jeder willkommen fühlt. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber man ist nach nur wenigen Minuten auf dem Gelände irgendwie angekommen in dieser entschleunigten Parallelwelt, die den Alltag einfach von der Bildfläche schubst. Und obwohl auf den Zeitplänen gefühlte 300 Programmpunkte stehen, hat man hier nicht eine Minute lang das Gefühl in Eile zu geraten. Ganz im Gegenteil: hier scheint alles einem Motto zu folgen: „Alles kann, nichts muss“.  Ich stelle jetzt einfach mal die Behauptung in den Raum, man könnte hier auch ohne die Musik ein nahezu perfektes Wochenende verbringen. Man könnte beim „Woodworking“ einen kleinen Hocker bauen oder einen Sportrucksack liebevoll selbst gestalten. Man kann sich die Siebdruckausstellung ansehen, im Rahmen derer sich viele auftretende Künstler verewigt sehen oder einfach den liebevoll gestalteten Barfußweg entlangschreiten. Ganz gleich was man hier tut, man kommt sofort zur Ruhe und das liegt auch an der Weitläufigkeit des Geländes.

„I say don’t you know
You say you don’t know
I say… take me out!“

(Franz Ferdinand – „Take Me Out“)

Es gibt in diesem Zusammenhang einige Gründe, warum das „A Summers Tale“-Festival aus der breiten Masse heraus sticht. Es ist zum einen diese positive und relaxte Stimmung, die überall auf dem Gelände herrscht und der man sich nur zu gerne hingibt. Zum anderen haben die Macher aber auch ein maßgeschneidertes Line-Up entworfen, um die Menschen vor Ort in eine Art Blase zu hüllen. Das Bühnenprogramm mit den Pixies, Franz Ferdinand, PJ Harvey oder den Sternen hätte man so auch schon vor zehn bis zwanzig Jahren auf Festivals live erleben können und genau darin liegt der Knackpunkt. Gepaart mit einem durchaus stattlichen Eintrittspreis, der sich allerdings sofort relativiert, wenn man bedenkt, was einem hier vier Tage lang geboten wird, schaffen es die Macher ein exakt auf die Zielgruppe zugeschnittenes Event auf die Beine zu stellen. Genau aus diesem Grund funktioniert das  „A Summers Tale“-Festival auch so hervorragend. Hier finden sich eben kaum Menschen, die nur wegen einem potenziellen Saufgelage den Campingplatz unsicher machen. Dafür gibt’s auf dem „A Summers Tale“ einfach zu wenige Gleichgesinnte. Ja, man trifft tatsächlich nur sehr wenige klassische Festival-Gänger von heute auf dem Event. Stattdessen fühlt man sich ein wenig wie auf einer großen Familienfeier und zwar zu jener Zeit, als man selbst noch ein Kind gewesen ist. Mit staunenden Augen durchstreifen nämlich nicht nur die jungen Gäste die eigens für sie errichtete Zwergstadt oder das Schafsgehege, das sich zum absoluten Dauerbrenner entwickelt. Man selbst ist auch hin und weg, was hier auf scheinbar beiläufige Art und Weise alles geschieht. Hat man den geschwungenen Paletten-Torbogen nahe dem Eingang, auf welchem das Logo des Festivals thront, erst einmal hinter sich gelassen, taucht man ein in eine Oase der Glückseligkeit. Auch eine so schräge Idee wie ein „Plattdeutsch“-Crashkurs wirkt hier schlicht bezaubernd, weil sie einem das schöne Gefühl vermittelt, hier gut aufgehoben zu sein. So schlendert man über das Gelände und hinter jeder Ecke scheint eine neue Überraschung auf einen zu warten. Selbst nach vier Tagen entdeckt man immer noch neue Orte auf dem Festival, womit wir bei einem weiteren Pluspunkt des „A Summers Tale“ angelangt wären. Hier hat nämlich jeder Platz ohne Ende. Keiner sieht sich gezwungen, sich auf eine enge Bierbank zu quetschen oder irgendwelches halbgares Festival-Food in sich reinzuschieben. Nein, man sucht sich einfach ein lauschiges Plätzchen und genießt die Leckereien, die da in Quark- und Burger-Form dargereicht werden. Cineastische und literarische Delikatessen inklusive.

„Ich bin das Chaos, hey,

wo willst du hin?“

(Judith Holofernes – „Ich bin das Chaos“)

Im Grunde genommen ist es ein aussichtsloses Unterfangen, jemandem dieses Festival näher bringen zu wollen, der nicht selbst dort gewesen ist. Man muss es erleben. Man muss dieses Gefühl spüren, nach einem gelungenen Auftritt auf einer der vielen kleinen Bühnen, noch ein paar Minuten zu verweilen und mit dem Künstler zu reden oder einfach nur in schönen Erinnerungen zu schwelgen. Im Grunde genommen schickt uns das „A Summers Tale“ nämlich auf Zeitreise in unsere eigene Jugend. Damals als wir noch irgendwo auf einer Wiese lagen und irgendjemand zum ersten Mal „Where Is My Mind?“ von den Pixies auf einem billigen Soundsystem abspielte. Hier fühlt sich das Leben für einen Moment wieder genauso wahrhaftig und unendlich an wie damals. Fast wie ein „Tagtraum“, womit wir dann auch wieder bei Matze Rossi angekommen wären, dem wir nur zu gerne die letzten Worte dieses Textes überlassen:

 

„Wir werden immer älter und die Welt wird digital.

Ich höre meine Lieblingsplatten aus den letzten fünfzig Jahren.

Auch schlage ich immer wieder gerne in meinen Fotoalben nach,

nur um mich nochmal zu erinnern, wie wir früher einmal waren.

Und es tut so gut zu sehen, wie wir zusammen und glücklich älter werden

Und es tut so gut zu sehen, wie wir glücklich und zusammen älter werden“

(Matze Rossi / Tagtraum – „Analog am Stück“)