// eine arme studentin berichtet oder..

HURRA WIR LEBEN NOCH! Montag 10 Uhr am Blümchensofa. 7 Euro. Studie „Ameise“. Ebay: Dunkle Jeans 13:34 Uhr zu Ende, mindestens 12 Euro. Amazon: alte Bücher vom letzten Seminar, auch mindestens 25 Euro. Mittwoch 10 Uhr zwei Stunden Putzen bei Herr M., macht 19 Euro. So sah meine Finanzplanung der vorletzten Februarwoche aus. Das wären […]

HURRA WIR LEBEN NOCH!

Montag 10 Uhr am Blümchensofa.
7 Euro. Studie „Ameise“.
Ebay: Dunkle Jeans 13:34 Uhr zu Ende, mindestens 12 Euro.
Amazon: alte Bücher vom letzten Seminar, auch mindestens 25 Euro.
Mittwoch 10 Uhr zwei Stunden Putzen bei Herr M., macht 19 Euro.
So sah meine Finanzplanung der vorletzten Februarwoche aus.
Das wären erreichbare 63 Euro oder vermeintliche 26 Euro. Ebay und Amazon sind nicht wirklich verlässlich, wenn der Küchenschrank als warme Malzeit nur noch Zutaten für Reis mit Maggie Tomatensuppe a la Toscana hergibt.
Siri kann ich nicht schon wieder fragen – sie ist selber knapp dran diesen Monat, nach dem sie sich ihren BMW-Traum erfüllt hat, gibt es kein anderes Thema mehr als günstige Mopedversicherungen und wie schön wenn bald Sommer wäre, vor allem, wenn man den Fahrtwind dann auf der Haut spürt. Ganz verbunden mit Straße und Natur – das Gefühl kann laut Siri nur ein Moped vermitteln. Veronika, die mich schon oft an der Kupschkasse gerettet hat ist nach Wien ausgewandert. Und sonst?! Alle anderen Bekannten möchte ich an diesem Desaster nicht teilhaben lassen – nur unnötig peinliche Fragen würde das aufwirbeln. Meine Eltern kann ich auf keinen Fall anrufen. Sie bezahlen schon die Miete für meine kleine Bude und würden das nur als Einladung zu einem moralischen Krisengespräch auffassen. Was könnte ich noch verkaufen? Was hat einen Wert?
Mein Bücherregal wächst und schrumpft proportional zum Inhalt meines Geldbeutels. Typisch Germanistikstudentin?! Am Semesteranfang noch völlig motiviert, ausgestattet mit Leseliste, Seminaranforderungen im Vorlesungsverzeichnis und einem Etat an Fördergeld, zusammengespart von Ferienjobs..und am Ende..
Meine Großeltern sind schon lange tot – sonst hätte ich mehr Lexika zur Verfügung, denn gebündeltes Wissen kann ich nicht verkaufen- das bringe ich nicht über mein Herz und sie hätten mir aus Güte sicherlich einige dieser wertvollen Bücher als Weihnachtsgeschenk zukommen lassen, weil sie mich gekannt hätten und gewollt hätten, das diese Bücher ihrer statt überleben und mich an sie erinnern. Doch das sollte nicht sein.
Zurück zum Bücherregal. Heiner Müller sticht mir ins Auge – diese dunkle, beängstigende Literatur könnte ein paar Euro wert sein. Eine Magisterarbeit über seine Hamletmaschine werde ich sicherlich nie schreiben. Die Bücher kann ich mir notfalls auch nochmal ausleihen, wenn die Hausarbeit ansteht. Foto – ISBN  und ab ins Netz damit!
26 Euro für eine Woche – das klingt viel und wenig zugleich. Als Singlefrau kann ich gut und gerne eine Woche auf Schokolade und fetthaltige Kost verzichten. Ja! Ich freue mich sogar darauf – denn ich muss mich nicht selbst zwingen weniger zu essen – es geschieht automatisch. Wenn es nichts zu essen gibt.
Mein Auto habe ich verkauft – ein vermeintlicher Unfall, an dem ich Schuld wäre kann mir also nichts anhaben. Die Angst und der Luxus bestehen nicht mehr. Als ich es noch hatte, vor fünf Monaten, bestand diese Angst tatsächlich. Also ließ ich es an solchen Wochen auch getankt stehen – sicher ist sicher.
Immer wenn es brennt, hat die Kantine keine Arbeit zu vergeben. Die Kantine steht für meinen Nebenjob – gute Bezahlung, leckeres Essen aber leider unregelmäßig auf Abruf. Und es gab die letzten Wochen keine Arbeit.
Wie komme ich noch an Geld?

Ausgeschöpft- da gibt es keine Möglichkeit mehr!

26 Euro..

Das sind drei Milchtüten, ein Brot, zwei warme Essen in der Mensa, vier Äpfel, 400 Gramm Wurst, zwei Sorten Käse, eine Packung von dem lecker Müsli und zwei kühle Bier freitags in der Disko – wenn Max mir den Eintritt bezahlt. Ok – das ist durchaus machbar.
Es gab Zeiten, da gab es nur Reis und Resterfood als Beilage.
Jetzt fragst DU
MICH, warum ich
NUR 26 Euro für meine letzte Februarwoche habe?!
Weißt Du, ich bin 23 – habe bis zu meinem 19ten Lebensjahr bei meinen Eltern gehaust – mich versorgen lassen, Taschengeld bekommen und lebte einen geregelten Tagesablauf.
Seit vier Jahren gehe ich für mein Brot zum Bäcker und weiss, wie viel ein Berndbrot kostet – das ist umgerechnet zu den 19 Jahren, in denen ich Brot nur aus dem Brotkorb kannte
n i c h t s  !
Es nimmt ab – mit zunehmendem Alter verlasse ich den 26-Euro-Mood! Es kommt neuerdings nur noch alle drei bis vier Monate vor. Das kreative an der Not ist, dass ich Verkaufsstrategien entwickle – Investitionen bei gutem Einkommen in Wertartikel wie teure Schuhe, Markenklamotten und Bücher – bei Engpässen lassen sich diese noch immer zu guten Preisen vermarkten und ich kann sagen: Fornarina Jeans – oh ja, die sitzen gut und schmeicheln – hatte ich auch mal 😉
Ich war schon immer flexibel.
Nun lehnst DU Dich entspannt zurück und faselst mir was von Ausbildung und Sicherheit!
Weißt Du!
Eins habe ich während meines Studiums gelernt – Du brauchst immer einen Joker in der Tasche! Eine teure Jeans, die du wieder loswerden kannst – denn Sicherheit, bekomme ich nur, wenn ich Kraft habe flexibel auf meine Umwelt reagieren zu können.
Mein Vater meinte mal: „Du musst Dir nur selbst die Frage stellen: Will ich Hammer oder Ambos sein…. Hammer oder Ambos!
Ich fand diese Nachkriegsbelehrungssprüchemethoden immer schrecklich! Mit 23 sage ich im Grunde dasselbe in jeansfarben.
Ich will eine Fornarina Vater!

Das Telefon klingelt. Ich gehe ran.  Es herrscht leichter Dialekt.
Hallo?
Hallo Kind! Wir (Vater & Mutter) haben gerade an Dich gedacht! Wie geht es Dir denn?
Guuhuut.
Ich war vorhin mit dem Baba in der Stadt und da waren wir beim Fischmann gut Essen, es gab Scholle mit Salzkartoffeln, der Vadder hat noch ´nen Salat dazu gegessen und die Sabine haben wir auch getroffen. Die hat wieder viel geredet, naja, Du weißt ja wie sie ist. Und dann wollte ich noch mal nach Schuhen schauen, weil ja meine Winterschuhe vom letzten Jahr nicht mehr wärmen, aber es gab nur Schrott bei Mander und bei der Guthenschus war wieder alles viel zu teuer. Der Fahdi war inzwischen beim Frisör. Da bin ich doch die Bahnhofstraße hoch gelaufen und sehe im Schaufenster von dem Laden, wo ich so gerne reingehe –
na Du weißt schon…na! Der da, bei der Bahnhofstraße! Gegenüber vom Cafe´ Latte! Also, Du warst doch nun auch schon oft dabei!!

Ja…ich weiß …ach, der Name fällt mir nicht ein!
Na, ist ja auch egal! Jedenfalls haben die kleine Blumenmädchen bekommen und ausgestellt – ganz zaaaarte Schnitzereien! Also.. wenn Du noch nicht weißt, was Du Deiner Muddi zum Geburtstag schenken sollst – also, DAS könnte mir gefallen!
Ok.
Der Vadder hat ja bei sowas keine Geduld und will wieder weiter – weißt ja wie er ist!
Naja.
Und gibt’s denn bei Dir was Neues? Jetzt habe ich nur von mir geredet.
Nö, bei mir gibt´s eigentlich nix neues.
Naja, dann lass uns wieder mal telefonieren. Tschüüühüüs!
Tschüss.
Beide legen auf.

Du, ich will mit dir nicht über dieses Telefonat reden – es gibt Sachen, die muss man aus Liebe ertragen..
Mein Vater würde das mit seinen Worten so sagen: „Was uns nicht umhaut, macht uns stärker!“ Im Grunde kann ich den Triumph schon spüren: Ich habe die 26 Euro-Woche überlebt, denn ich trage Urvertrauen in meinem Herzen: eine schillernde Fornarinajeans am Ende des Tunnels.
Was bringt es mir, wenn ich ihr als Neuigkeit von meinem Reismittag a la Toscana erzähle? Gehört das nicht zum Erwachsenwerden dazu? Nicht zu klagen, obwohl man nur noch Scheiße frisst? Leid ertragen?!
Ok, ich hör auf Dramaqueen zu spielen.
Zurück zum Kern der 26-Euro-Woche. Es ist Februar. Um genau zu sein, fast März, um das noch mal finanziell einzugrenzen: einskommafünf Monate vor meinem Geburtstag und einskommafünf Monate nachdem ich die Studiengebühr abdrücken musste.
Mh!
Objektiv betrachtet wird noch viel Zeit vergehen. Subjektiv betrachtet frage ich mich, wie werde ich die Zeit verbringen? Mit Rackern? Putzen? Catering? Ebay? Amazon? Ausgleich meiner Konten.
Was für Fragen?!
Ich will Dir eins sagen, wenn ich fertig bin mit meinem Germanistikstudium, habe ich mein Volo in Finanz- und Krisenmanagment schon dreimal in der Tasche!

Das Leben ist die beste Schule
– na, der Spruch könnte glatt von meinem Vater sein! Es geht mir gut, nein, verstehe das nicht falsch. Ich lege dir nur gefühlvoll die Tatsachen meiner Lage zu Füßen. Kennst Du eigentlich Milva? Mein Vater hat die immer so gern gehört! „Hurra wir leben noch!
Ok, ich trifte ab.
Ach, DU kennst DIE auch? Kennst DU den Text noch?

Beide versuchen zu singen.
Hurra wir leben noch! Was mussten wir nicht alles überstehn.. Wir leben noch! Was ließen wir nicht na ne nane na Nenanenaaaa wir leben noch! HURRA!
Sie schunkeln in erregter sentimentaler Manier hin und her und klopfen sich dabei auf die Schultern.

Das DU das kennst!?

// linda