Manche Menschen treten ganz plötzlich in unser Leben, wie ein Unwetter, Donner und Blitz. Und genauso, wie sie kommen verschwinden sie auch wieder, nicht ohne eine Verwüstung zu hinterlassen.
Es ist Liebe auf den ersten Blick.
“Liebe auf den ersten Blick”, räuspert sie skeptisch und schüttelt dabei ihren kleinen runden Kopf.
Sie schmachtet Illusionen nach, wenn sie über beide Ohren verliebt ist, denn El hat die Angewohnheit, ihre Liebesobjekte hoffnungslos zu idealisieren, so dass es, wenn es denn je zu so etwas wie einer Liebesgeschichte kommt, meist nie länger als eine Woche andauert. Denn das, was mit dem frischen Liebespaar in El´s Träumen passiert, ist gar nicht mehr wert gemeinsam zu teilen. El weiss darum, nur eines weiss sie nicht. Wie kann sie aus diesem Boot aussteigen, das sie immer wieder an die selbe Stelle fährt.
Dies trug sich zu..
Eine Frau – sie ist ein paar Jahre älter als El, hat lange blonde Haare und einen warmen, umsorgenden Blick. El fühlt sich auf eine Art und Weise aufgefangen in ihrer Nähe. El bewundert sie, für alles das, was sie hat und ihr fehlt: Blonde Haare, grüne Augen, sehnige Hände und dieses Lächeln!
Tag und Nacht ist sie in ihren Gedanken.
In ihrem Kopf und ihrem Bauch..
Ständig sucht El nach extremen Veränderungen in ihrer Umwelt, nur um die Langsamkeit ihrer Annäherung auch nur irgendwie kompensieren zu können.
Es bringt sie fast um den Verstand, findet sie nichts adäquates.
Oft, wenn sie es gar nicht mehr aushält, sucht El sie in den Straßen, in denen sie sich einmal begegneten.
Als sie das vorletzte Mal miteinander telefonierten quoll es plötzlich unwillkürlich aus El heraus.
„Ich liebe Dich!“
El dachte sich vorher, ´Es wäre an der Zeit mein Leben wieder neu zu strukturieren, wieder eine Linie, eine Klarheit zu finden. Das geht nur mit dieser Wahrheit.´
Ihre gemeinsame Distanz war einfach zu realistisch geworden.
El wollte ihr keinen Grund mehr für Zurückhaltung geben. Sie sollte wissen, dass sie mit ihr zusammen sein möchte.
“Ich liebe Dich”.
Es hallte noch lange in ihr nach, `Liebe Dich, liebe Dich!`
Die Monate voller Sehnsucht zogen in rasanter Geschwindigkeit an ihr vorüber.
´Was habe ich da eben gesagt? Spinnst du?!´, schießt es ihr durch den kleinen runden Kopf.
Sie sagte nichts dazu. Sie will sich nächste Woche wieder melden.
Beide legten auf.
El schipperte in ihren Gedanken kreuz und quer.
Es begannen Nächte mit wenig Schlaf, Tage mit Wachen vor dem Telefon, Lust- und Alpträume.
Sie rief nicht an.
Es kränkte El.
Doch dann klingelte das Telefon und die blonde Zögerliche fragte, was El mit dem Satz “Ich liebe Dich” gemeint habe. “Was ist das für eine Art Liebe?” Es folgte eine Aufzählung, aus der sie sich etwas aussuchen sollte. El antwortete, “von Frau zu Frau”. “Das geht nicht! Das kann ich nicht!”, kam forsch und nahtlos zurück.
Nach dieser Antwort verstand El den vorwurfsvollen Unterton, den sie unter „Art von Liebe„ gelegt hatte. Er kam “Wie kannst Du nur!?” sehr nahe. „Das passiert schon mal!“, antwortete sie abwertend, als hätte El etwas Quark auf ihrem T-Shirt verkleckert. In diesem Augenblick verlor El die Achtung vor ihr, wurde zornig, dachte an die Frau, die sie an ihren letzten Treffen verkörperte und legte ohne zu zögern auf. Über eine Woche hatte El also auf diese Absage gewartet. Noch am selben Abend sprach die „Zögerliche“ auf El´s Anrufbeantworter. Irgendetwas von “Schade, ich dachte du wärst erwachsener, viel Glück für dich, ..Vorwürfe.., vielleicht sieht man sich ja, Hallo, Tschüß..”
Nun hatte El, was sie wollte. Keine Illusionen mehr, dafür Realität und Klarheit. Marlene Dietrich fiel ihr seltsamerweise ein, “Die dumme, dumme Liebe!” Sie tröstete sich damit und erinnerte sich an all die gescheiterten Beziehungen in ihrem Leben. El kannte sich nun ein wenig und wusste, dass sie nun wieder lange Zeit brauchen würde, um einen Menschen so nah an sich heranzulassen. Ihr fielen alte Briefe an ihren ersten Brieffreund ein. Damals schrieben sie immer in Reimform, hochphilosophische Texte. Sie las ein wenig darin und bemerkte, dass sich seit all den Jahren nichts großartig geändert hatte. Das Schema war doch immer das selbe.
Nur einen Satz musste sie laut wiederholen. “Wie ich nur immer sein kann! So, dass ich den ersten Teufel in meine Arme schließe und in meiner Hölle zu einem Engel mache!” Fünf Jahre war dieser Satz bereits alt – er passte auch zu diesem Zeitpunkt wieder.
Ein paar Monate später wurde ihr eine Frage gestellt: „Weshalb hast du so einen traurigen Blick?“
El meinte, dass sie nicht nur diesen hätte, sondern noch viele andere, die ihr, Olka, einer Polin Mitte dreißig, noch verborgen seien.
Sie erklärte El hochmütig, dass während ihrer Erziehung irgendetwas schief gegangen sei, sonst wäre sie nicht so schwermütig.
Olka war eines ihrer Blinddates und sollte eigentlich ein One-Night-Stand bleiben. Denn sie urteilte ständig, bevor sie auch nur einigermaßen stichhaltige Argumente für etwas erhielt. Das störte El, außerdem war sie überhaupt nicht ihr Typ. Doch an dem Tag, als sie sich das erste Mal begegneten ging alles so schnell, das kaum Platz blieb, über solche Makel nachzudenken. Während sie durch die frostige Januarsnacht spazierten, kuschelten sie sich wie selbstverständlich aneinander. El genoss es. Immerhin waren Zärtlichkeiten für sie im Laufe der Zeit schon zur Seltenheit geworden. Olka schien es auch zu genießen, sie grinste stumm.
Sie liefen später genauso selbstverständlich engumschlungen bis vor El´s Schlafzimmertür.
Auch Olka hatte lange, blonde Haare und einen warmen, umsorgenden Blick. Und sofort war sie wieder da, die Erinnerung an damals. Es machte El etwas traurig, dass sie Olka schon in ihrer ersten Nacht gedanklich betrog und das auch noch mit ihrer Exfreundin, die gar keine war.
Olka ließ ihr jedoch keine Ruhe mehr. Die Vorstellung, dass El ihre Melancholie nicht verbergen konnte war furchtbar! Sie fühlte sich ertappt und gleichzeitig entwaffnet. Olka stellte ihr die richtigen Fragen und sie gestand. Mitten in ihren Gesprächen schlich das Vergangene vorüber und durfte endlich vergänglich werden.
Erinnerungen verschwammen. Die frei gewordenen Stellen füllte Olka.
Sie nahm El den Wind aus ihren Segeln, wenn sie unheilvoll begann zu schwelgen und in ihre Fantasiewelt abtauchen wollte.
“Kein Wunder, dass Du mit den Frauen immer Schiffbruch erleiden musstest, wenn Du vergisst den Anker zu lichten!”
Manche Menschen treten schleichend in unser Leben. Man will sie nicht unbedingt bei sich haben, weil sie unbequem sind und uns aus unseren eingefahrenen Spuren bringen.
// linda
UND WAS NUN?