// mufflon

So liebe Leute. Eigentlich müsste ich mich ja jetzt wieder über irgendetwas aufregen. Und die Themen dafür drängen sich ja auch geradezu auf. Doch heute möchte ich nicht meckern. Nein, heute will ich mich einfach nur freuen. Normalerweise ist das Öffnen des Briefkastens eine eher unschöne Angelegenheit. Rechnungen, Reklame, … Reklame, Rechnungen. Aber in letzter […]

So liebe Leute. Eigentlich müsste ich mich ja jetzt wieder über irgendetwas aufregen.
Und die Themen dafür drängen sich ja auch geradezu auf. Doch heute möchte ich nicht
meckern. Nein, heute will ich mich einfach nur freuen.
Normalerweise ist das Öffnen des Briefkastens eine eher unschöne Angelegenheit.
Rechnungen, Reklame, … Reklame, Rechnungen. Aber in letzter Zeit ist dieser Akt die
reinste Freude. Menschen, die ich gar nicht kenne, schenken mir Süßigkeiten und schrei-
ben mir lustige Briefe, in denen sie mir ihre, oft komische und utopische Sicht der Welt
erklären. Manche dieser lustigen Gesellen haben mir so schon das eine oder andere
Frühstück versüßt. Und wenn ich dann aus dem Haus gehe, begegne ich ihnen schon
wieder. An jeder Straßenecke. Ich denke, ihr wisst wovon ich rede? Richtig. Es ist Wahl.
Und man hat einfach keine Wahl, sich dieser Tatsache zu entziehen.. Jede nur erdenk-
liche freie Fläche wird zugekleistert. Von allen Seiten grinsen dir überfröhlich kompe-
tente Gesichter entgegen. Da ist man beinahe schon wieder froh, zwischendurch mal
einem der „normalen” Werbeplakate zu begegnen, die sich sonst mit überheblicher Pe-
netranz in den Weg stellen. Momentan sind sie dezent wie nie. Die manisch grinsenden
Schilderchen dagegen sind gar nicht dezent. Doch sie haben diverse Vorteile. Zum einen
zeigen sie überdeutlich auf, warum man selbst auf Bildern so ungern lacht. Es sieht ein-
fach immer scheiße aus. Zum anderen bieten sie all den kleinen Picassos dieser schönen
Stadt die Möglichkeit, anderen ihr verborgenes Talent zu demonstrieren. Klar, eigent-
lich will ja keiner mehr Klassiker wie den guten alten Hitlerbart oder geschminkte Män-
nerlippen sehen. Aber manche Kandidaten könnten den einen oder anderen Verschö-
nerungstipp durchaus in ihr tägliches Repertoire integrieren.
Auch das Autofahren auf tausendmal gefahrenen Pisten macht durch die vielen Wahl-
plakate endlich wieder richtig Spaß. Warum sollte man auch auf die Straße oder den
Vordermann achten, wenn am Straßenrand – am besten noch in vier Metern Höhe, oder
in zwanzigfacher Ausführung nebeneinander – lustige Plakate zum Schmunzeln einla-
den? Schön an der ganzen Sache ist ja hauptsächlich, dass jeder erst mal gegen jeden ist.
Survival of the fittest quasi. Manche Parteien erliegen auch der Fehlannahme, Quanti-
tät siege über Qualität. Obwohl. So weiß ich wenigstens, dass ich als deutscher Staats-
bürger wahrscheinlich demnächst in ein Reservat gepfercht werde, weil mir feindlich
gesinnte Eroberer mit Migrationshintergrund (mein persönliches Wort des Jahres) mein
Land stehlen werden. Und das, wo unser Volk doch zuerst kommen sollte und unsere
Sprache doch so geil ist. Aber wir wollen die Kirche mal schön im Dorf lassen. Schließlich
ist das Maß längst voll. Und Terroristen und schlimmeres lauern ja auch an jeder Ecke.
Man kann gar nicht vorsichtig genug sein, Leute. Echt jetzt!!
Nicht umsonst wird man öffentlich dazu aufgefordert, betrunken wählen zu gehen. Ist
in besagtem Fall sicherlich auch besser so.
Besonders Spitze wird es, wenn man sich manche Plakate einmal genauer betrachtet.
Soll man jetzt Frauchen oder ihren Hund wählen? Ich denke, ich nehme die Töle. Sieht
vertrauenserweckender aus. Da war wohl auch jemand nicht ganz nüchtern bei der Mo-
tivwahl. Na mir solls egal sein. Ich geh mich jetzt erst auch mal besaufen und sehe mir
die ganze Sache dann noch einmal genauer an. Vielleicht ergibt das Ganze dann ja mehr
Sinn als im nüchternen Zustand. In diesem Sinne, Prost! Auf zur Wahlurne.
// von sebastian struch