Man hatte ja schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass die alterwürdigen Far sich noch mal reformieren würden, um ein neues Album einzuspielen. Nun ist es passiert und „At Night We Live“ erfüllt die Erwartungen, wenn man der Scheibe einige Durchläufe schenkt. Dann entfaltet sich das rockige Werk immer weiter und ruft schöne Erinnerungen an die „White Pony“-Phase der Deftones wach. Rock ohne Macho-Haltung soll hier geboten werden und es funktioniert. Die Riffs sitzen, aber in der Musik schwingt immer eine sanfte Melancholie mit, die das rockige Treiben ad absurdum führt. Natürlich trägt dazu auch die vielseitige Stimme von Jonah Matranga bei, den man seit seiner Zeit bei New End Original endlich wieder in Bestform erleben darf. Wenn man bedenkt, dass Far in gewisser Weise zu den Mitbegründern des Nu-Metal zählen, erscheint es umso wichtiger, dass dieses Album hier erscheint, führt es einem doch vor Augen, wie die Geschichte mit den harten Gitarren ursprünglich mal gedacht war: man wollte einfach seinen Emotionen herauszuschreien, alles in die Wagschale werfen und sich vom eigenen Seelenpein befreien. Auf „At Night We Live“ gelingt das der Band ganz vorzüglich und mit „Fight Song #16,233,241“ sollte auch noch eine augenzwinkernde Club-Hymne dabei raus springen. Alles in allem: ein eindrucksvolles Modern Rock-Werk.
Hinterher machen wir uns dann auf zum Unterwasser-Baggersee-Knutschen. Jack Johnson hat sich auch auf seinem neuesten Wurf nicht dazu entschlossen, seinen Sound groß zu variieren. Warum auch? Der Junge vom Sandstrand füllt inzwischen ganze Stadien und wird von Millionen Fans geherzt. Ist ja auch allerliebst, was für sympathische Gassenhauer er da immer wieder aufs Neue aus dem Ärmel schüttelt ohne sich dem Formatradio anzubiedern. Manche werden da schon nach zwei Minuten zu Gähnen anfangen, der Rest am nächtlichen Lagerfeuer in Kuschelstimmung verfallen. „To The Sea“ ist wie geschaffen zum Händchenhalten am Sandstrand, während sich die Abendsonne in der Meeresoberfläche spiegelt. Jack Johnson hat mit seiner Musik einen Weg gefunden, Melancholie mit einem sonnigen Gemüt auszustatten, so dass selbst hoffnungslose Miesepeter irgendwann zu Grinsen beginnen. Dafür hassen wir ihn. Dafür lieben wir ihn. Ich neige zu Letzterem. Auch wenn´s schon Album Nummer fünf ist.
Mit einer weiteren einpeitschenden Liedermacher-Breitseite fahren wir fort. Dandelion Snow macht sich mit Chris #2 von Anti-Flag hinterm Mischpult auf, zehn schmissige Protest-Songs aus den Saiten zu pressen. Dazu gesellen sich ein paar echte Herzschmerz-Hymnen, die sich so mancher unglücklich Verliebte demnächst auf den Oberwarm tätowieren lassen dürfte, um sein Seelenpein mit der Welt da draußen zu teilen. „The Grand Scheme Of Things“ strahlt eine widerborstige Herzenswärme aus, dass man sich mit einem Wattebausch am Körper in den nächsten Dornenstrauch hechten möchte. Wer beim Sound von Frank Turner und Konsorten ins Schwärmen gerät, sollte Dandelion Snow unbedingt mal anchecken. Da schlummert ein echter Hingucker im Dickicht der Liedermacher-Szene.
Alle, die in den 70ern noch nicht in hiesigen Gefilden hausten, sollten sich mit Embryo ein Stück Zeitgeschichte nach Hause holen. Auf „40“ finden sich, verteilt auf zwei Silberlingen und ausgestattet mit einem üppigen Booklet, das die Bandgeschichte liebevoll umreist, 28 selten zu findende Tracks der Krautrock-Legenden, von denen Miles Davis bis Franz Ferdinand nur in den höchsten Tönen sprechen. Das Kamel auf dem Frontcover gibt die Richtung vor. Zu diesem Sound fühlt man sich in eine „Tiger von Eschnapur“-Szenerie versetzt und von fliegenden Teppichen umringt, die nur darauf warten, einen in höchste Höhen empor zu hieven. Der Einfluss dieser Band auf alles von BritPop-Gesellen a la Kula Shaker bis hin zu zahlreichen Jazzlegenden könnte größer gar nicht sein. Die Tracks, die in unterschiedlichen Schaffensphasen der letzten 40(!) Jahre entstanden sind, machen deutlich, dass sich Embryo Zeit ihres Lebens der Lust am Experimentieren verschrieben haben. Die orientalischen Anleihen bilden zwar eine gewisse Konstante im Sound der Band, verkommen aber nie zum bloßen Klischee, stattdessen bilden sie einen Ausgangspunkt für die musikalischen Schlangenbeschwörer in abgefahrene Soundgefilde abzudriften. Deshalb gilt es auch in diesem Zusammenhang keine weiteren Worte mehr zu verlieren, den Sound von Embryo muss man erleben – man muss ihn fühlen, atmen, aufsaugen. Dann öffnet er einem ein Tor in eine andere Welt.
Das ReBeatles Project hat sich derweil entschlossen, auf „Get Back!“ Gassenhauer von Pink („Get The Party Started“), den Beastie Boys („Fight For Your Right“) und Lady Gaga („Poker Face“) in ein schickes 60er Jahre-Outfit zu pressen. Das funktioniert nicht immer so vorzüglich, wie bei der Stadionhymne „Three Lions“, sorgt aber über die volle Länge für ein Schmunzeln auf den Lippen des Hörers, weil sich ein charmanter Chorgesang nach dem anderen vor einem aufbaut, dem man sich nur ungern verschließen mag. Vielleicht sollte man den vier Beatles-Fanatikern aber auch noch ein bisschen Zeit zur Entwicklung geben. Oder die Scheibe einfach auf der nächsten Party in voller Lautstärke abspielen. Die verliebten Blicke der Anwesenden werden einem reihenweise zufallen, bevor dann alle beschwipst die Melodien intonieren. „Do You Feel My Heart Beaaaaaaaaaaaat(l)ing?“
Kelis hat sich derweil entschlossen einen schmissigen 9-Acter rauszuhauen und suhlt sich vollends in synthetischen Schaumbädern. Was anfangs ein bisschen gewöhnungsbedürftig anmutet, entfalten mit zunehmender Dauer einen kurzweiligen Charme, so dass man den üblichen Verdächtigen Marke Ke$ha und Konsorten nahelegen möchte, hier nachzuhören, wie man effektvoll rumballert, ohne ins Plakative abzudriften. Den Mumm muss man erst mal haben, an so einem entscheidenden Punkt der Karriere ein so kompromissloses Disco-Teil rauszuhauen. „Fleshtone“ imponiert mit seiner Tron-Ästhetik, zu der man sich nur zu gerne in ein virtuelles Spiel flüchten würde, um in bester Rollerball-Manier die Krone an sich zu reisen.
Wer mal wieder eine herzhafte Bassline um die Ohren gehauen bekommen möchte, der sollte sich an das gleichnamige Album von Boohgaloo Zoo halten. Nach einer chilligen Streicheleinheit vom „Intro“ wird der (Nu)Disco gefrönt und gefunkt, als wolle man gerade das Sonnwendfeuer entzünden. Der Funk und die stampfenden HipHop-Beats stehen auf dem Album von K´Bonus und U-Gene aus Belgien und Holland im Mittelpunkt und man kommt nicht umhin, sich mit den Nackenmuskeln entspannt ein zu grooven, wenn „Found It“ und „Watch It“ ihre Porno-Ästhetik entfalten. Alles in allem ist die Scheibe mit neun Songs zwar etwas zu kurz geraten, so drückt man aber am Ende aber nur umso bereitwilliger die Repeat-Taste, um sich in diesen charmanten Funkasien zu verlieren.
Elektronisches Futter aus dem Hause Ninja Tune erwartet uns hinterher, wenn Lorn ihre Effektgeräte hochfahren. Das Debütalbum des Acts mutet an, als hätten Flying Lotus begonnen den Soundtrack zu Tetris einzuspielen. Zwischen den Ganzen Blubberblasen und treibenden Beats entfalten sich charmante Melodien im Grenzgebiet von Ratatat und Daft Punk. Die kurze Laufzeit der Tracks von um die drei Minuten sorgt zudem dafür, dass bis zum Ende hin keine Langeweile aufkommt. Wer mal wieder in aggressiv-aufgehübschten Elektro-Welten der Marke Crystal Method eintauchen möchte, sollte sich „Nothing Else“ unbedingt auf den Plattenteller legen. Es lohnt sich. Und wir sind raus für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?