// zuckerbeat vol. (1)72 – wake up, sleepyhead

Der werte Carl Barât hat keinen Bock mehr sich allein auf seinen Teilzeitjob bei den Libertines und den Dirty Pretty Things zu beschränken, also hat er, wie es sich für einen echten Freiheitskämpfer eben gehört, sein erstes Solo-Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Wir erinnern uns ja alle noch an schlimme Vergehen aus dem Hause Billy […]

carlbarat_ditoDer werte Carl Barât hat keinen Bock mehr sich allein auf seinen Teilzeitjob bei den Libertines und den Dirty Pretty Things zu beschränken, also hat er, wie es sich für einen echten Freiheitskämpfer eben gehört, sein erstes Solo-Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Wir erinnern uns ja alle noch an schlimme Vergehen aus dem Hause Billy Corgan und Konsorten, doch Barât gelingt das Kunststück, sich aus dem Schatten seiner Bands zu lösen. Sein gleichnamiges Werk ist eine funkelnde Perle, die sich nicht von der Indie-Rock-Schlammlawine platt walzen lässt. Schon der Opener „The Magnus“ erstickt nicht in seinen produktionstechnischen Größenwahn, er klingt locker-flockig, wie sich das eben so gehört aus der Feder eines Libertines-Mitbegründers. Fortan bewegt sich Barât auf dem schmalen Grad zwischen pompösen Arrangements und unverkrampft dahin gerotzten Pop-Nummern, deren Charme sich oft erst nach mehreren Durchläufen entfaltet. Alles in allem, liefert Carl Barât hier illustren Nachschub für das Tanzparkett der örtlichen Indie-Hütte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Pete Doherty… bitte nachziehen. Oder am Besten gleich ein neues Libertines-Album mit dem Kollegen veröffentlichen.

black-mountainBlack Mountain sorgen für einen Nostalgie-Flash, wenn sie uns ihre psychedelisch, verruchten Rocksongs um die Ohren hauen, als wollten sie King Crimson und Janis Joplin die letzte Ehre erweisen. Ein „Wilderness Heart“ möchte von der Leine gelassen werden und irgendwie macht es schon ziemlich viel Spaß, sich in diesen Songs zu verlieren, weil man nie das Gefühl hat, hier einen Abklatsch von altbekannten vor den Latz geknallt zu bekommen. Hinter den spacigen Gitarrenkrachern schlummert immer eine hymnische Songidee, die sich aus dem Hinterhalt anschleicht, um sich dann hartnäckig im Gedächtnis des Hörers einzunisten. Fans von Band Of Skulls, Wolfmother und Konsorten werden die Luftgitarre auspacken und sich an den verstrahlten Riffs erfreuen. Hin und wieder werden aber auch schön Erinnerungen an die experimentellen Momente von Blackmail wach. Black Mountain gelingt damit der Spagat, sowohl Indie- als auch Altrocker auf ihre Seite zu ziehen. Und das ist am Ende dann doch ziemlich bemerkenswert.

azureAzure Ray haben sich auf ihrem aktuellen Album mal wieder zum Besingen von traurigen Szenerien entschlossen. Einsam stehen sie am Straßenrand und öffnen an einem verregneten Tag ihr Herz für all jene, die unter weinerlichen Wolken durch die asphaltierten Straßenschluchten der Stadt strömen. Diese Band ist wie geschaffen, um einen in eine andere Welt zu schubsen. „Drawing Down The Moon“ ist ein echter Schwerenöter, der all jenen das Herz öffnen dürfte, die sich schon immer gewünscht haben, die werte Karin aus dem Hause Fever Ray hätte ein bisschen weniger experimentiert und ihre Songs in klassische Formate überführt. Ein starkes, stimmungsvolles Werk. Wie geschaffen für den Herbstanfang.

fritzFritz Kalkbrenner macht sich derweil daran den Soul in technoide Sphären zu schubsen. Auf seinem aktuellen Album „Here Today Gone Tomorrow“ gelingt ihm das vorzüglich, so dass man schon nach wenigen Minuten aufs Sofa plumpst, um sich an den seeligen Klängen das Herz zu erwärmen. Guetta und Konsorten können Kalkbrenner gestohlen bleiben, er möchte ein Album erschaffen, das nachhaltig wirkt. Eines im Sinne von Marvin Gayes Klassiker „What´s Going On“, das auch im Beilagschreiben als Bezugspunkt herhalten muss. Natürlich kann man einen Klassiker, wie den von Gaye nicht kalkulieren und eben deshalb bleibt Kalkbrenners neuster Wurf erstmal „nur“ ein verträumtes, bisweilen beinahe herzliches Techno-Album, das sich auch nicht scheut einmal Ausflüge in Country- und Düster-Pop-Gefilde zu unternehmen. Mit zunehmender Dauer entfalten sich die spärlich instrumentierten Songs immer weiter, hin und wieder werden auch schöne Erinnerungen an Paul Kalkbrenner wach, z.B. wenn einen eine zärtliche Gesangsstimme in „Right In The Dark“ plötzlich aus allen Träumen reißt. Wer auf Techno mit Tiefgang steht, sollte sich „Here Today Gone Tomorrow“ auf keinen Fall entgehen lassen.

apparatNiemand Geringeres als Apparat hat sich derweil daran gemacht, den aktuellen Part der „DJ-Kicks“ mit seinen Lieblingstracks zu bestücken und er zerrt einen gleich zu Beginn hinunter in düstere Gefilde. „Circles“ vernebelt einem zum Auftakt die Sinne und gibt die Richtung vor für ein Klangerlebnis im Grenzgebiet von Burial und Thom Yorke. Man sollte sich die Scheibe unbedingt über Kopfhörer zu Gemüte führen, um in den Genuss aller Details zu kommen. Zuweilen ist es schlicht grandios, wie hier Songs von Born Ruffians mit Joy Orbison und Pantha Du Prince verschmelzen. Wer auf elektronische Musik der anspruchsvollen, atmosphärischen Sorte steht, für den ist dieses Mixtape ein Muss.

kyrieKyrie Kristmansson vollbringt derweil das Kunststück, geheimnisvollen Grusel-Pop mit Lagerfeuerromantik zu kombinieren. Wäre nicht schon Herbst-Kälte angesagt, würde man sich wohl auf der Stelle ein Zelt unter die Arme klemmen, in den Wald düsen und sich diese Scheibe in einer dunklen Vollmondnacht unter freiem Himmel zu Gemüte führen. Was die Kanadierin hier für quirlige Folk-Pop Experimente mit zwischenzeitlichem Jazz-Einschlag aus dem Ärmel schüttelt, da können sich zahlreiche Liedermacher eine Scheibe von abschneiden. Keine Ahnung, wo die Dame ihre schrägen Einfälle zusammensammelt, „Origin Of Stars“ funkelt jedenfalls so hell am Firmament, dass man nach den elf schmissigen Songs sofort die Repeat-Taste der Anlage betätigt und hemmungslos den Mond anheult. Schrecklich schön.

TheAmplifetes_Cover.inddThe Amplifetes aus Schweden versuchen derweil Pop-Punk mit elektronischem Gebretter zu verschmelzen. Klingt auf den ersten Eindruck ziemlich schlimm, macht aber nach kurzer Eingewöhnungsphase doch so viel Spaß, dass man mit zunehmender Länge doch noch in Stimmung kommt. Mit „It´s My Life“ ist sogar ein Hit drauf, den Kinogänger bereits aus einem der Werbespots kennen werden, die immer im Vorprogramm der gängigen Multiplex-Kinos laufen. Alles in allem ist vielleicht nicht jeder Track ein musikalischer Gaumenschmaus, trotz allem kann man hin und wieder eine wohlschmeckende Leckerei im Büffet entdecken.

botoxBot´Ox klingen derweil auf ihrem aktuellen Konzeptalbum, als wollten sie dem Sound von Elektro-Vorreitern wie Kraftwerk und Konsorten ein zeitgemäßes Outfit überstreifen. Ihre elektronischen Eskapaden machen „Babylon By Car“ zum optimalen Album, um es sich bei einer endlosen Fahrt durch die Nacht in einem verlassenen Industriegebiet zu Gemüte zu führen. Durch die zwischenzeitliche gesangliche Unterstützung von Judy Nylon, Anna Jean oder Mark Kerr mutet das Ganze nie zu gleichförmig an und das Duo sorgt dafür, dass der Hörer sich nur zu gerne in diesem Sammelsurium an futuristischen Klängen einnistet. Womit wir auch schon wieder durch sind für heute. Lasst es euch gut gehen. Wir lesen uns beim nächsten Zuckerbeat.