Einen epischen Rachefeldzug liefert uns die Comic-Reihe „100 Bullets“, die derzeit von „Panini“ neu aufgelegt wird. Die Geschichte dreht sich um einen Racheengel, der seinen Klienten Erlösung verspricht. Die Hoffnungslosigkeit der Geschichte erinnert bisweilen an so manche Folge aus der gelungen TV-Reihe „The Wire“, die sich ebenfalls mit Gut und Böse auseinandersetzt und in der irgendwann alles zu verschwimmen droht. Im ersten Band „Der erste Schuss“, der die US-Hefte 1-5 sowie die Kurzgeschichte „O du Mörderische“ enthält, werden wir mit Agent Craves bekannt gemacht. Die Zeichnungen erinnern dabei nicht von ungefähr an die drei Bände der Reihe „Vampire Boy“, schließlich hat Eduardo Risso hier seine Finger mit im Spiel. Der Argentinier, der sich auch für die Comic-Adaption von „Aliens: Ressurection“ verantwortlich zeigt und schon drei Eisner Awards einheimste, versteht es, mit seinen fahrigen Zeichnungen die Atmosphäre auf den Straßen des Großstadt-Molochs treffend in Szene zu setzen. Mit freundlicher Unterstützung von Batman/Deathblow-Autor Brian Azzarello macht er sich daran, den Leser schon auf Seite 1 in eine dunkle Gasse zu schubsen, in welcher ein Mord geschehen soll. Anschließend rollt er die Geschichte noch mal von hinten auf, um am Ende für einen großen A-ha-Effekt zu sorgen.
Die Geschichten im zweiten Band „Die zweite Chance“ laufen derweil immer nach dem gleichen Muster ab. Jemand bekommt die Möglichkeit Selbstjustiz zu üben und muss sich letztlich entscheiden, ob er die Möglichkeit nutzt. „Was also tun?“, fragt sich ein gewisser Chucky. Was tun, wenn du im Knast gelandet bist, obwohl du dich aufgrund eines Filmrisses an nichts mehr erinnern kannst. Was tun, wenn du hinterher erfährst, dass du nicht hinterm Steuer gesessen hast, als ein junges Pärchen gestorben ist. Was machst du, wenn dein bester Freund den Wagen gelenkt hat und dir anschließend die Schuld in die Schuhe geschoben hat. Wie entscheidest du dich? Lässt du die Sache auf sich beruhen oder nutzt du die 100 Kugeln, die dir ein Fremder angeboten hat und die dir einen Freifahrtsschein in Sachen Rache offerieren. Wie entscheidet sich Chucky? Am Besten ihr schmökert selbst mal rein. Und bleibt vor allem bei der Stange. Denn neben dem offensichtlichen Dilemma, in dem alle Protagonisten der bisher vorliegenden 11 Bände stecken, wird fortwährend deutlich, dass sich hinter den Morden und Kugeln ein Masterplan versteckt.
Agent Craves wählt seine Klienten nämlich nicht zufällig aus. Sein Handeln hat mit einer mysteriösen Organisation zu tun, die fortwährend Platz für Spekulationen liefert. Mit zunehmender Lauflänge entpuppen sich die weiteren, hier vorliegenden Romane „Abservierte leben länger“ (4), „Im roten Kreis“ (6), „Dekadent“ (10), und der aktuellste Band „Das Einmaleins der Macht“ (11), welche allesamt mit unzähligen Kurzgeschichten voll gestopft sind und noch dazu ganz ordentlich am Gewissen des Lesers nagen, als gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker. Immer wieder muss man sich als Leser die Frage stellen, wem hier eigentlich zu trauen ist. Dass es die Reihe schafft, all die verworrenen Handlungsstränge am Ende zu einem Plot zusammen zu pressen, dürfte Fans von „Falling Down“ bis „Pulp Fiction“ die Freudentränen in die Augen treiben. Wie es ausgeht, sollte sich übrigens schon in Kürze entscheiden. Die beiden letzten Bände stehen nämlich schon in den Startlöchern. Wir sind gespannt und halten euch natürlich auf dem Laufenden.
UND WAS NUN?