// aufgelesen vol. 1 – „mir ist klar, dass sich das merkwürdig anhört…“

Wer mal wieder am Puls der Zeit schnuppern möchte, der kommt derzeit nicht um den Roman „Chronic City von Jonathan Letham herum. Die ganze Geschichte beginnt recht unspektakulär: „Ich begegnete Perkus Tooth zum ersten Mal in einem Büro. Allerdings nicht in einem, in dem er arbeitete, auch wenn ich das damals durcheinandergebracht habe – für […]

chronic-cityWer mal wieder am Puls der Zeit schnuppern möchte, der kommt derzeit nicht um den Roman „Chronic City von Jonathan Letham herum. Die ganze Geschichte beginnt recht unspektakulär: „Ich begegnete Perkus Tooth zum ersten Mal in einem Büro. Allerdings nicht in einem, in dem er arbeitete, auch wenn ich das damals durcheinandergebracht habe – für mich übrigens nichts Ungewöhnliches“. So weit, so gut, mag man denken und doch macht einen der Sprachfluss neugierig. Was es wohl mit diesem Tooth auf sich hat, der sich als Kulturkritiker entpuppt? Und wer ist dieses Chase Insteadman, von dem diese Geschichte hier handelt? Ein ehemaliger Kinderstar wohlgemerkt. Ein Mitglied der gehobenen Gesellschaft. Zufällig wiederum. Seine (beinahe) Frau irrt durch den Weltraum. Und Chase, der irrt durchs Leben. Sucht nach etwas zum Festhalten. Womit er sich auch die Aufmerksamkeit seiner Leser sichert. Denn suchen wir nicht alle nach Halt, nach einem Ort, an dem wir verweilen könnten. „Herrlich betrunkene Sätze, die es dennoch schaffen, gerade zu gehen“ schreibe er… findet zumindest die New York Times. Wenn Sie ihren Blick noch mal nach oben schweifen lassen, werden sie anhand des Zitates feststellen, was gemeint ist. Darüber hinaus versteht sich die Geschichte aber auch als Thriller der Marke Hitchcock. Als Versteckspiel auf höchstem Niveau. Angesiedelt nach dem 11. September 2001 in Manhattan. Dass sich der Autor immer wieder an popkulturelle Phänomene heranwagt, macht den Roman einerseits zu einem Dokument seiner Zeit, andererseits spiegelt sich darin in erdrückender Weise das Wirrwarr an Möglichkeiten, dass die heutige Zeit für einen bereithält. David Lynch hätte seine helle Freude an diesem Buch. Denn hier darf nichts als sicher gelten. Alles wird in Frage gestellt werden. Um die Welt zu erklären, muss man erst alles in seine Einzelteile zerlegen. Die Grenzen überwinden. Alles verschwimmen lassen, wie im Traum. Die Realität ist Pustekuchen und sie wartet nur darauf, dass ein Windstoß sie in einen neuen, weitläufigeren Kontext zersetzt. Womit wir uns letztlich wieder am Ausgangspunkt befinden. Hier wurde nämlich einiges „durcheinandergebracht“. Der schöne Schein will gewahrt bleiben. Wo kämen wir denn da hin, wenn plötzlich die Fassade unseres Daseins zu Bröckeln anfinge? In diesem Buch findest du die Antwort. Du musst nur genau hingucken.

schwaerzer_als_die_nacht-9783423248204„Schwärzer als die Nacht“ konfrontiert einen wiederum mit Nino und Rosa. Zwei Liebende, die auf der Suche nach dem Glück sind. Wie es das Front-Cover bereits andeutet, ist das hier keine Alpenromanze, Salvo Sottiles Geschichte spielt in Italien, genauer gesagt zwischen Corleone und Palermo, womit bereits klar sein sollte, was wir hier vor uns haben. Eine Mafia-Geschichte. Spulen wir uns erstmal zurück ins Jahre 1980, Nino Giaconia und Gaspere Occhiuzzo wollen die Vorherrschaft in der „Cosa Nostra“ an sich reißen. Doch Nino läuft die Liebe über den Weg, sie winkt ihm freudestrahlend zu und doch muss er nach und nach feststellen, dass sie so ihre Tücken hat. Seine Frau Rosa nämlich ist unglücklich nach der gemeinsamen Heirat. Ihr Grinsen mutiert zur Fratze. Das bringt Nino dazu seine Frau zu unterdrücken und sie ihrer Freiheiten zu berauben. Dann stirbt auch noch das gemeinsame Kind der beiden. Rosa fällt in eine tiefe Depression. Darüber hinaus steckt Nino ebenfalls in einem Dilemma. Sein Bruder wird zum Kronzeugen. Und so beschließt die Mafia, dass die seine nächster Verwandter sterben muss. Wie sich Nino am Ende entscheidet, lest ihr am Besten selbst nach. Wird er Rosa töten oder nicht? Doch Vorsicht: Im Buch liegt das Hauptaugenmerk auf Rosas Leben. Der Autor setzt sich sehr intensiv mit dem Leid auseinander, das Rosa im Rahmen ihrer Ehe durchlebt. Die Geschichte drum herum wird von Salvo Sottile nur am Rande gestreift. Alles in allem äußerst lohnenswerter, wenn auch sehr schmerzlicher Roman.

ak7Aus dem Hause „Folio“ erreicht uns in diesen Tagen unter dem Namen „The Art Of Design“ ein wirklich hübsch anzusehender Kunstband, der sich mit Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs auseinandersetzt und sie künstlerisch in ein neues Licht rückt. In Handwerksbetrieben in Tirol wurden Möbel in limitierter Auflage von gerade mal 7 Stück konzipiert, die bisweilen surreal anmuten, die einen aber auch ins Grübeln bringen. Wie gestalten wir unsere Welt? Wie leben wir eigentlich? Welche Dinge nutzen wir eigentlich Tag für Tag, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst wären? „ak7 – Contemporary Design By Contemporary Artists“ von „Achtung Kunst“ liefert Visionen en masse und macht handfeste Dinge daraus. Künstler, wie Pavel Büchler, Shilpa Gupta, Maeve Rendle und Erwin Wurm präsentieren Alltägliches in sonderbarer Form. Das ist am Ende nicht nur ein Fest für die Augen, die zahlreichen Hintergrundinformationen auch dafür, dass man einen guten Einblick in die Geschichte von Kunst und Design erhält. Kunstfreunde, zuschlagen bitte!

ally-conideAlly Condie aus Salt Lake City wirft mit ihrem neuen Buch die spannende Frage auf, was wohl passieren würde, wenn man zugunsten der Sicherheit alle Freiheiten hinten anstellt. Was, wenn man einem fest bestimmten Weg folgen müsste und sich selbst die eigenen Gefühle diesem unterzuordnen hätten. Die erste Band der Reihe „Cassia & Ky“ (Titel: „Die Auswahl“) wildert in philosophischen Gefilden und führt vor Augen, was passiert, wenn Menschen anfangen, die Strukturen, in denen sie es sich gemütlich gemacht haben, zu hinterfragen. Condie kratzt immer wieder gekonnt an der heilen Welt, die sich ihre Protagonistin vorgaukeln lässt und emanzipiert sich schrittweise von den Dingen, die in ihrer Welt und Gesellschaft für richtig erachtet werden. Die ersten Zeilen des Romans können hierbei als sinnbildlich für den weiteren Verlauf gelten: „Jetzt, wo ich herausgefunden habe, wie ich fliegen kann, welche Richtung soll ich da nehmen hinaus in die Nacht? Meine Flügel sind weder weiß, noch haben sie Federn; sie sind grün, aus grüner Seide gemacht. Seide, die im Wind flattert und sich bläht, wenn ich mich bewege, dann linienförmig und schließlich in selbsterfundenen Formen. Das Schwarz hinter mir beruhigt mich nicht, ebenso die Sterne über mir“. Soll heißen: Wenn alles nach Aufbruch schreit, schleicht sich die Angst von hinten an dich heran. Sie übermannt dich und es gilt ihr immer einen Schritt voraus zu sein. Alles in allem ein gelungener Auftakt, der zwar kein literarisches Meisterstück ist, aber dafür mit einer Story punktet, die nachdenklich macht. Alles in allem mehr als eine SciFi-Alternative zu den allseits bekannten „Biss“-Romanen. Fortsetzung folgt…

arno-geigerArno Geiger aus Bregenz möchte in seiner aktuellen Kurzgeschichtensammlung derweil nur eins: die Menschen auf der Suche nach dem Glück begleiten. Die Titelgeschichte „Anna nicht vergessen“ dreht sich um eine Frau, welche die Ehepartner anderer Frauen auf die Probe stellt. Ihre kleine Tochter droht sie dabei immer wieder zu vergessen. Die kurze Lauflänge der Geschichten hält die Sache spannend, macht aber auch deutlich, dass Geiger ein ausgeprägtes Sprachtalent besitzt. Der Abwechslungsreichtum des Buches ist enorm. Alles wirkt so herrlich beiläufig textet, dass man sich immer wieder dabei ertappt, wie einen ein Schmunzeln aufs Gesicht rutscht. Gerade in der Kurzgeschichte „Abschied von Berlin“ dürften sich zahlreiche gescheiterte Existenzen wieder finden, deren Träume irgendwann unterwegs auf der Strecke geblieben sind. Dieses Buch dreht sich um Menschen, die versuchen, das Beste aus ihrer Lage zu machen. Um Menschen, die noch nicht bereit sind, ihre Träume in eine Kiste zu packen. Dieses Buch dreht sich ums Weitermachen. Durchhalten. Glücklich sein. Kurz gesagt: es ist der perfekte Rausschmeißer für heute. Also verkriecht euch unter der Bettdecke. Schmökert noch ein bisschen und freut euch jetzt schon auf das nächste Mal.