Gedichtbände sind bei uns bisher leider etwas zu kurz gekommen, doch bei Simon Armitage machen wir gerne mal eine Ausnahme. Der Lyriker, der unter anderem „Kreatives Schreiben“ an der Universität in Manchester unterrichtet, spricht mit seinem „Pub Talk“ einer ganzen Generation aus dem Herzen. Viele seiner Gedichte zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Alltag in Lyrik transformieren. Das klingt dann niemals plump, seine lyrischen Ergüsse punkten stattdessen mit einer bemerkenswerten Rhythmik, die man eigentlich eher von einem Liedermacher erwartet hätte (was Simon Armitage ganz nebenbei auch ist): „Five Pounds Fifty In Change, Exactly, A Library Card On Ist Date Of Expiry“ (zu deutsch – übersetzt von Jan Wagner, wie auch der Rest des Gedichtbands: “Etwas Kleingeld, genauer: fünf fünfzig in Groschen, ein Bibliotheksausweis, soeben erloschen“). Man sitzt wie gebannt vor diesem Werk, genießt die mal zeitgenössischen, mal doppelbödigen Zeilen des Autors und beobachtet fasziniert, wie er am Lack der Gesellschaft kratzt. Hin und wieder bekommt man dabei auch selbst einen Spiegel vorgehalten, vor allem dann, wenn das Alltägliche anhand bestimmter „Produkte“ in die Gedichte einfließt, was dann nur umso deutlicher unsere Abhängigkeit von bestimmten Konsumgütern verdeutlicht. „Zoom!“ ist trotz seiner bewusst schlicht gehaltenen Sprache ein äußert witziges, spannendes, vor allem aber intelligentes Werk. Simon Armitage entwirft Sätze, die einen auch nach mehreren Tagen nicht wieder loslassen.
Sven Regener hat mit seiner „Herr Lehmann“-Trilogie derweil ja bereits zahlreiche Fans gesammelt, auch wenn der „Kleine Bruder“ leider das Niveau der beiden Vorläufer nicht zu halten vermochte. Nun erscheint unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ eine „Logbuch“-Sammlung des Autors, welche zahlreiche Texte beinhaltet, die Regener in den letzten Jahren für diverse Internet-Plattformen entwarf. Daraus puzzelt er nun eine Art „Tagebuch-Roman“ zusammen, der zahlreiche Stationen seines Lebens skizziert. Hamburg Heiner hat er dabei als eine Art Alter Ego seiner selbst erschaffen. Dieser sorgt im Gesamtzusammenhang für allerhand Knalleffekte, denn immer dann, wenn es langweilig zu werden droht, taucht plötzlich der „Hamburg-Heiner“ auf der Bildfläche auf und installiert sich als virtueller Gegenspieler, um den öden Alltag des Protagonisten ein bisschen aufzupäppeln. Gerade dieser (eigentlich) schizophrene Ansatz macht die Lektüre von seinen Blogs über Berlin, die Frankfurter Buchmesse, das Tourleben oder das Verhältnis von Österreich und Deutschland so amüsant. Natürlich kann man anmerken, dass Regener den „Hamburg-Heiner“ nur als Stilmittel einsetzt, um mit ihm davon abzulenken, dass all das Geblogge im Web (auch das Geschreibsel seiner selbst) sehr viel Verzichtbares abwirft. Er hält sich durch seinen „Gesprächspartner“ aber nicht nur selbst einen Spiegel vor, sondern auch dem Rest der Internet-Gemeinde, die sich alltäglich daran macht, Nichtiges in (scheinbar) Nachhaltiges zu verpacken. Dass dabei über kurz oder lang die Qualität auf der Strecke bleibt, sollte klar sein. Deshalb einfach mal wieder das Smart Phone ausgeschaltet lassen, in den Stadtpark radeln, dieses Buch aufschlagen und am Ende keinem was davon erzählen…
Hinterher heißt es dann: alle Einzelgänger, bitte aufgepasst. „Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim“ ist eine charmante Abhandlung zum Thema Befindlichkeiten und ihre Nebenwirkungen. Der Birminghamer Autor Jonathan Coe erzählt die Geschichte eines 48jährigen, der sich ohne Frau und Tochter (haben ihn verlassen!) in einem Restaurant in Sydney wieder findet. Die Freunde sind ihm auf seinem Weg durchs Leben irgendwie abhanden gekommen, nicht mal sein Vater, den er gerade besuchen möchte, will noch etwas von ihm wissen. Anstatt allerdings über ein baldiges Ausscheiden aus dem Geschäft, das sich Leben nennt, nachzugrübeln, lässt er sich lieber von der Werbebranche instrumentalisieren und tuckert fortan für eine Zahnbürstenfirma zu den Shetlandinseln. Mit dabei hat er Emma, sein Navi, das auf der Reise zum besten Kumpel des eigenwilligen Kauzes mutiert. Angestachelt von seinen inneren Dämonen nimmt er diesbezüglich allerdings ein paar Umwege in Kauf, um sich letztlich an all den Orten wieder zu finden, die seinem Leben etwas Bedeutungsvolles schenkten. Dabei stößt er nicht nur auf diverse Schriftstücke, die seine Sicht der Dinge ordentlich umkrempeln, er sieht sich auch zunehmend mit seiner inneren Leere konfrontiert. Der Galgenhumor des Protagonisten schlägt in diesem Zusammenhang etwa zur Mitte des Buches hin in Niedergeschlagenheit um. Das wirkt zwar nachvollziehbar, dennoch verliert der Roman dadurch ein wenig an Drive. Etwas mehr Pepp hätte in der zweiten Hälfte sicher nicht geschadet. Alles in allem ist „Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim“ trotzdem eine willkommene Sommerlektüre für einsame Herzen. Man muss sich nur auf sie einlassen. Aber das ist bei Jonathan Coe eigentlich grundsätzlich so.
Karen Duve hat derweil ihren Teil zum Thema „Anständig essen“ beigetragen, indem sie bereits im letzten Jahr ihren gleichnamigen Roman unters Volk streute. Nach anfänglicher Skepsis haben wir uns das Buch jetzt doch noch zu Gemüte geführt und stellen fest: es ist ein äußerst gelungenes Werk. Gerade dadurch, dass die Protagonistin zuvor zahlreiche Fleischprodukte in sich reinschaufelte, wirkt ihr Selbstversuch, fortan auf fleischliche Nahrung zu verzichten, nur umso ambitionierter. Es ist ja nie zu spät, seine Einstellung zu hinterfragen, dementsprechend verzichtet Karen Duve fortan ein komplettes Jahr auf tierische Produkte, wobei sie netterweise auch mal zwischen vegetarisch und vegan unterscheidet. Man muss der Autorin zugute halten, dass sie mit ihrem Roman sicher auch dazu beigetragen hat, dass das Thema im letzten Jahr in den Massenmedien ziemlich breit getreten wurde (was das allerdings bewirkt hat, darüber lässt sich durchaus streiten, denn in meinem direkten Umfeld waren die Diskussionen über unser Essverhalten schon nach kurzer Zeit wieder abgeebbt). Umso wichtiger scheint es mir, jetzt noch einmal auf diesen Roman hinzuweisen. Er wirft nämlich die grundsätzliche Frage auf, wie wir fortan mit der Tierwelt auf unserem Planeten umgehen möchten. Mir scheint es jedenfalls keine Option, so weiterzumachen wie bisher. Wenn sich die Menschheit tatsächlich damit abfinden würde, dass Masthühner auf einem Fleck nicht viel größer als ein DINA4-Blatt gehalten werden, kann jeder vernunftbegabte Mensch das eigentlich nur zum Kotzen finden. Deshalb im Kleinen anfangen. Auf die Schnäppchen im Tiefkühlregal verzichten, den Spielverderber auf Gartenpartys spielen, den Konsum zügeln und am Ende ein gesundes Verhältnis zu dem entwickeln, was einen umgibt. Mehr dazu in diesem Buch, das heute kein Stück weniger aktuell scheint, als am Erscheinungstag.
Simmone Howell setzt sich in ihrem Buch „Kunst, Baby“ derweil mit dem Wunsch dreier junger Mädels nach Selbstverwirklichung auseinander. Gem, Lo und Mira wollen Experimentieren, raus aus dem Alltag, der sie umgibt und auffrisst, deshalb versuchen sich Lo und Mira fortan an skandalträchtigen Aktionen, während Gem ihre eigene Filmproduktion auf die Beine stellt. Dabei orientiert sie sich natürlich an ihrem großen Vorbild, Andy Warhol, der ja auch allerhand Erfahrung im Kunstfilm-Bereich sammeln durfte, womit dann auch schon die Richtung des Projekts vorgegeben ist: „Underground“ soll es sein. Nicht mehr und nicht weniger. Das wiederum kann sie ihren Freundinnen aber nur schwer verklickern. Die Beiden können einfach nicht nachvollziehen, warum Gem dieser Streifen so wichtig ist. Die Situation spitzt sich zu. Wobei es die Autorin aus Melbourne immer wieder gelingt, den Roman mit ihrer enthusiastischen Schreibweise aufzupäppeln. Wer auf aneckende Coming Of Age-Geschichten steht und ein Faible für Kunst mitbringt, sollte unbedingt mal reinschnuppern. Es lohnt sich. Womit wir dann auch schon wieder am Ende wären für heute. Viel Spaß beim Schmökern. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?