// strichcode vol. (4)15 – „the liminal zone“

mit den Werken „The Liminal Zone“ (Band 2) und „Existence“ (Band 2). // Die zweite Ausgabe von Junji Itos The Liminal Zone und der actiongeladene Webtoon Existence von Kwang Jin wirken auf den ersten Blick wie zwei völlig gegensätzliche Werke: Der eine ein stiller, albtraumhafter Horror-Manga, der andere ein atemberaubendes Reinkarnations-Epos voller übermenschlicher Kräfte. Doch […]

mit den Werken „The Liminal Zone“ (Band 2) und „Existence“ (Band 2).

// Die zweite Ausgabe von Junji Itos The Liminal Zone und der actiongeladene Webtoon Existence von Kwang Jin wirken auf den ersten Blick wie zwei völlig gegensätzliche Werke: Der eine ein stiller, albtraumhafter Horror-Manga, der andere ein atemberaubendes Reinkarnations-Epos voller übermenschlicher Kräfte. Doch in ihrem Kern kreisen beide um eine fundamentale Frage: Was bedeutet es, Mensch zu sein, und welche Grenzen existieren zwischen Realität und etwas, das darüber hinausgeht? The Liminal Zone führt den Leser erneut in eine Welt des psychologischen Grauens, in der sich das Alltägliche auf subtile Weise ins Surreale verwandelt. Junji Ito ist ein Meister der unangenehmen Stille, der unmerklichen Übergänge, in denen sich der Horror nicht lautstark aufdrängt, sondern sich schleichend in das Bewusstsein frisst.

Der Band enthält mehrere Kurzgeschichten, die sich auf unerklärliche Phänomene konzentrieren – sei es die Rückkehr der verstörenden Hikizuri-Geschwister oder eine Geschichte, in der sich Staub und Voodoo-Magie auf unheilvolle Weise verbinden. Die Atmosphäre ist dicht, jede Seite strahlt eine unterschwellige Bedrohlichkeit aus. Itos Charaktere sind oft Opfer ihrer eigenen Ängste oder irrationalen Obsessionen, was sie in eine Spirale des Unheils treibt, aus der es kein Entkommen gibt.

Das Unheimliche entsteht nicht aus vordergründigem Schrecken, sondern aus der Frage: Was, wenn unsere Realität poröser ist, als wir denken? Ganz anders ist der Ansatz von Existence. Während Ito sich mit den Grenzen der Realität und der Auflösung des Ichs beschäftigt, befasst sich Kwang Jin mit der Umkehrung dieses Prinzips: Was passiert, wenn eine Person alle Grenzen überschreitet? Jain Lee ist eine Figur, die durch unzählige Reinkarnationen gegangen ist – als Insekt, als Tier, als mächtiges Wesen aus längst vergangenen Epochen. Nun, in menschlicher Gestalt, verfügt er über das Wissen und die Kräfte all dieser Existenzen. Doch statt Erleuchtung findet er nur eine schreckliche Erkenntnis: Die Menschheit ist schwach, unbedeutend, und er sieht es als seine Aufgabe an, sie auszulöschen. Existence ist ein visuelles Feuerwerk, das mit dynamischer Action und großflächigen Panels beeindruckt, die die rohe Gewalt und Macht von Jain Lee eindrucksvoll darstellen. Der Webtoon arbeitet mit einer knallbunten Farbpalette, die im starken Kontrast zu Itos düsterem, fast monochromem Stil steht. Die beiden Werke könnten unterschiedlicher nicht sein – und doch haben sie eine überraschende Verbindung: Beide beschäftigen sich mit der Fragilität der menschlichen Existenz. Während Itos Charaktere oft Spielbälle einer unerklärlichen Macht sind und langsam an ihrer Realität verzweifeln, wird Jain Lee selbst zu einer gottgleichen Macht, die über das Schicksal der Menschheit entscheidet. Wo The Liminal Zone auf den psychologischen Horror der Ohnmacht setzt, zelebriert Existence die Allmacht und fragt, ob absolute Macht zwangsläufig zur Selbstzerstörung führt. Letztendlich sind beide Werke auf ihre Weise verstörend: Der eine lässt uns an unserer Wahrnehmung der Realität zweifeln, der andere konfrontiert uns mit der erschreckenden Idee, dass die Evolution in eine Richtung führen könnte, die das Menschsein selbst obsolet macht. Wer sich für philosophische Horror- und Science-Fiction-Konzepte interessiert, findet hier zwei völlig unterschiedliche, aber gleichermaßen fesselnde Perspektiven auf dieselbe zentrale Frage.