// aufgelesen vol. (5)69 – „wo der name wohnt“

mit dem Werk „Wo der Name wohnt“ von Ricarda Messner. // Es gibt Bücher, die eine Geschichte erzählen – und es gibt Bücher, die einen Nachhall hinterlassen, die etwas berühren, das sich nicht einfach in Worte fassen lässt. Ricarda Messners Wo der Name wohnt ist genau so ein Buch. Ein stiller, feinfühliger Roman über Herkunft, […]

mit dem Werk „Wo der Name wohnt“ von Ricarda Messner.

// Es gibt Bücher, die eine Geschichte erzählen – und es gibt Bücher, die einen Nachhall hinterlassen, die etwas berühren, das sich nicht einfach in Worte fassen lässt. Ricarda Messners Wo der Name wohnt ist genau so ein Buch. Ein stiller, feinfühliger Roman über Herkunft, Erinnerung und die Spuren, die eine Familie hinterlässt. Es ist eine Erzählung über einen Namen, über die Vergangenheit, über Dinge, die bleiben – und Dinge, die verschwinden. Im Zentrum des Romans steht eine Enkelin, die sich dem Erbe ihrer Familie nähert, nicht nur in materieller, sondern vor allem in emotionaler Hinsicht. Der Ausgangspunkt ist die Wohnung der Großeltern in Berlin, die nun aufgelöst wird. Ein Raum voller Erinnerungen, voller Dinge, die weitergegeben oder verloren gehen. Besteck, Töpfe, Musikkassetten – kleine Zeugnisse eines vergangenen Lebens. Doch neben diesen greifbaren Erinnerungen ist es vor allem der Familienname Levitanus, der für die Erzählerin zur Obsession wird.

Sie will ihn zurück, will ihn wieder annehmen, als Verbindung zu ihrer Familiengeschichte, als eine Art Anker in der Zeit. Der Name führt sie auf eine Reise, die über das Bekannte hinausgeht. Von Berlin aus reist sie nach Riga, wo ihr Urgroßvater Salomon lebte. Sie folgt den Spuren der Vergangenheit, sucht nach Fragmenten einer Geschichte, die von vier Generationen erzählt – von Lettland in den 1970er Jahren bis in die Gegenwart Deutschlands. Besonders eindringlich ist die Szene, in der sie auf ein Fenster im ehemaligen Rigaer Ghetto stößt, ein Fenster, das wie ein stiller Zeuge der Vergangenheit überdauert hat. Es sind diese Momente, in denen die Zeit sich aufzulösen scheint, in denen Vergangenheit und Gegenwart untrennbar miteinander verwoben sind. Messner schreibt in einer klaren, fast schwebenden Sprache, die eine zarte Melancholie transportiert, ohne ins Sentimentale abzurutschen. Es ist eine Erzählweise, die zwischen Dokumentation und poetischer Reflexion oszilliert – kein lautes Drama, sondern ein leises, tastendes Erkunden der Familiengeschichte. Die Sätze sind präzise, fast beiläufig, aber sie treffen genau. Es ist diese Reduziertheit, die das Buch so eindringlich macht. Was Wo der Name wohnt besonders stark macht, ist, dass es nicht nur eine Geschichte über die Vergangenheit ist, sondern auch über das Jetzt – über die Frage, was Identität bedeutet, was es heißt, Teil einer Familiengeschichte zu sein. Es geht um die Spuren, die bleiben, um Namen, die verschwinden oder zurückkehren, um das Verhältnis zwischen Dingen und Erinnerungen. Im Vergleich zu anderen Familienromanen, die sich mit historischen Traumata oder der jüdischen Identität beschäftigen, bleibt Messners Zugang sehr persönlich, fast intim. Sie gräbt nicht tief in politischen oder historischen Analysen, sondern bleibt nah an den kleinen, alltäglichen Gesten, die das Erinnern ausmachen. Dadurch entsteht eine besondere Form von Intensität – eine Geschichte, die sich nicht in großen Erzählbögen entfaltet, sondern in Momentaufnahmen, in Stille, in Lücken. Was nach der Lektüre bleibt, ist das Gefühl einer Bewegung – eines Pendels zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Berlin und Riga, zwischen Verschwinden und Bewahren. Und vielleicht ist es genau das, worum es in Wo der Name wohnt geht: um das Bewahren. Nicht nur von Namen oder Gegenständen, sondern von Geschichten, die sonst vielleicht für immer verloren gingen.