// strichcode vol. (4)21 – „trese“

mit den beiden Werken „Mord am Balete Drive“ und „Nicht aktenkundige Morde“ der Reihe „Trese“. // Es gibt Comics, die man liest, und dann gibt es Comics, die einen regelrecht in eine andere Welt saugen. Trese gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Schon das Setting allein – das mystische, urbane Manila, durchzogen von dunklem Volksglauben und […]

mit den beiden Werken „Mord am Balete Drive“ und „Nicht aktenkundige Morde“ der Reihe „Trese“.

// Es gibt Comics, die man liest, und dann gibt es Comics, die einen regelrecht in eine andere Welt saugen. Trese gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Schon das Setting allein – das mystische, urbane Manila, durchzogen von dunklem Volksglauben und modernen Verbrechen – hat mich sofort gepackt. Alexandra Trese ist keine typische Heldin. Sie ist eine Ermittlerin, die gerufen wird, wenn die Polizei an ihre Grenzen stößt und die Fälle ins Übernatürliche abdriften. Was auf den ersten Blick wie eine klassische Detektivgeschichte wirkt, entfaltet sich schnell zu einem faszinierenden Blick in die Welt philippinischer Mythen und dunkler Urban Legends. Die Monster und Kreaturen, die hier auftreten, sind nicht die üblichen Verdächtigen aus westlichen Horrortraditionen, sondern Wesen aus alten, fast vergessenen Sagen – und genau das macht den besonderen Reiz aus.

Man fühlt sich, als wäre man mitten in den schmutzigen, flimmernden Straßen von Manila, wo jeder Schatten eine Gefahr birgt und jede Gasse zu einem Tor in eine andere, viel ältere Welt werden könnte. Budjette Tans Storytelling ist dabei so präzise wie unheimlich: Ohne große Worte, aber mit enormer Wucht zieht er den Leser immer tiefer in ein Netz aus Mysterien, Verbrechen und uralten Mächten hinein. Die urbane Legende wird hier nicht einfach erzählt, sie wird gelebt. Dazu kommen die minimalistischen, unglaublich kraftvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Kajo Baldisimo.

Seine Panels sind düster, roh und von einer Intensität, die einen förmlich mit in die Geschichte hineinzieht. Es ist, als würden die Schatten auf den Seiten direkt aus der Folklore der Philippinen emporsteigen und einen nicht mehr loslassen. Trese selbst ist eine der faszinierendsten Comicfiguren, die ich seit Langem erlebt habe: cool, unaufgeregt, kompetent und mit einer Aura, die irgendwo zwischen urbaner Schamanin und Noir-Detektivin liegt. Ihre Präsenz wirkt magisch und gleichzeitig vollkommen real – sie gehört genauso in die staubigen Polizeistationen wie in die Welt der Geister und Dämonen. Gerade diese Doppelrolle macht sie zu einer Heldin, mit der man sofort mitfiebert, ohne dass sie jemals künstlich überhöht wirkt. Es fühlt sich an, als hätte man sie wirklich irgendwo in einer dunklen Ecke Manilas treffen können. Was Trese für mich so besonders macht, ist die nahtlose Verknüpfung von philippinischem Volksglauben mit modernen urbanen Krimielementen. Es wirkt nie gekünstelt oder exotisch, sondern völlig organisch. Hier passt einfach alles zusammen: die Polizeiarbeit, die mystischen Elemente, die düstere, pulsierende Energie der Stadt. Manila ist nicht nur Kulisse – es wird zu einem eigenen Charakter: lebendig, unberechenbar, gefährlich. Besonders im Band Mord am Balete Drive wird diese Atmosphäre zum ersten Mal eindrucksvoll aufgebaut. Aber auch der zweite Band, namens Nicht aktenkundige Morde, setzt die Qualität nahtlos fort und vertieft die Welt noch weiter. Beide Bücher zeigen, warum Trese längst Kultstatus erreicht hat. Die internationale Kritik überschlägt sich nicht umsonst. Mit Trese haben Budjette Tan und Kajo Baldisimo ein Comicuniversum erschaffen, das nicht nur philippinische Mythen neu zum Leben erweckt, sondern auch neue Maßstäbe für Urban Fantasy im Comicbereich setzt. Die deutsche Übersetzung von Jens R. Nielsen trifft dabei genau den richtigen Ton: rau, spannend und voller düsterer Poesie. Dazu präsentiert er am Ende des Bandes zahllose Anmerkungen, die einen tiefergehenden Blick auf das Werk werfen. Das wiederum liefert einen irren Mehrwert und lässt einen ganz tief in diese Geschichten hier eintauchen. Ähnlich wie bereits bei den Deluxe-Hardcover-Editionen der „Dylan Dog“-Reihe, damals aber lediglich als digitale Ergänzung zum Werk. Hier findet sich alles gebündelt im Buch und das ist auch gut so, zeugt darüber hinaus von einer Liebe zum Detail, die man sich öfter wünschen würde. Wenn du also auf Geschichten stehst, die dich fordern, die eine andere Mythologie erfahrbar machen und dich gleichzeitig in eine düstere, faszinierende Stadt entführen, dann ist Trese genau das, was du brauchst. Aber Vorsicht: Sobald du einmal einen Fuß in diese Welt gesetzt hast, lässt sie dich so schnell nicht wieder los.