mit den Werk „Mädchentier“ von Cecilie Lind.

// Cecilie Linds Mädchentier ist ein schmaler Roman, der sich inhaltlich jedoch als vielschichtige und sprachlich eigenwillige Studie über weibliche Adoleszenz erweist. Im Zentrum steht die dreizehnjährige Sara, deren Innenwelt in einer dichten, beinahe atemlosen Sprache entfaltet wird. Der Text folgt keinem klassischen Coming-of-Age-Narrativ, sondern arbeitet mit der Fragmentierung und Überlagerung innerer Zustände. Was erzählt wird, ist keine lineare Entwicklung, sondern eine Verdichtung von Wahrnehmungen, Obsessionen und Selbstinszenierungen. Sara befindet sich in einem ambivalenten Übergang zwischen Kindheit und Jugend, in einem Zustand, der durch Unbestimmtheit und Spannungen geprägt ist. Sie ist verliebt – in Dario, den Pfarrer und Vater ihrer besten Freundin. Diese Verliebtheit ist weniger eine emotionale Regung im klassischen Sinne, als vielmehr Ausdruck eines existenziellen Begehrens: nach Nähe, nach Sichtbarkeit, nach Kontrolle.
Ihre Faszination richtet sich nicht nur auf den anderen, sondern auch auf sich selbst, auf den eigenen Körper als Medium der Einflussnahme – durch Disziplin, durch Verweigerung, durch gezielte Performance. Der Roman operiert vollständig aus Saras Perspektive und verzichtet dabei konsequent auf jede Form der Kommentierung oder Einordnung. Linds Sprache ist rhythmisch, reduktionistisch, teilweise manisch – ein Stil, der stark an lyrische Verfahren erinnert, dabei jedoch stets narrativ bleibt. Die Innensicht wirkt nicht psychologisch erklärend, sondern unmittelbar erfahrbar. Der Text verzichtet bewusst auf klassische Plotstrukturen zugunsten einer dichten Binnenwelt, die in ihrer Konsequenz ebenso beeindruckend wie verstörend ist. Ein zentrales Thema ist die Frage nach Sichtbarkeit und Macht. Sara entdeckt, dass ihr Körper zum Objekt des Blicks wird – sexualisiert, beobachtet, bewertet. Diese Entdeckung führt zu einer paradoxen Dynamik: Sie will gesehen werden, aber nicht reduziert sein; sie sucht Macht und verliert zugleich Kontrolle. Lind gelingt es, diese Ambivalenzen präzise zu inszenieren, ohne sie didaktisch aufzulösen. Der Text enthält implizite Kritik an gesellschaftlichen Normen weiblicher Selbst- und Fremdwahrnehmung, verzichtet jedoch auf jede Form von Moralisierung. Mädchentier, in Dänemark mit dem Kritikerprisen ausgezeichnet, ist ein literarisch anspruchsvolles Werk, das sich bewusst der Einordnung verweigert. Weder lässt es sich als rein feministische Erzählung noch als psychologisches Fallporträt fassen. Es ist ein Roman über Grenzbereiche: sprachlich, thematisch und emotional. Gerade diese Uneindeutigkeit macht ihn zu einer lohnenden, wenn auch fordernden Lektüre.
UND WAS NUN?