// strichcode vol. (4)20 – „jack the ripper“

mit den beiden Werken „Burton & Cyb (Gesamtausgabe)“ und „Die 1000 Gesichter von Jack The Ripper“. // Es gibt Comics, die einen sofort mitreißen, weil sie vor Energie, Witz oder Atmosphäre nur so strotzen – und dann gibt es Werke, die einen mit einem ganz anderen Sog fesseln, einen düsteren, stillen, der sich erst langsam […]

mit den beiden Werken „Burton & Cyb (Gesamtausgabe)“ und „Die 1000 Gesichter von Jack The Ripper“.

// Es gibt Comics, die einen sofort mitreißen, weil sie vor Energie, Witz oder Atmosphäre nur so strotzen – und dann gibt es Werke, die einen mit einem ganz anderen Sog fesseln, einen düsteren, stillen, der sich erst langsam entfaltet. Bei Antonio Segura und José Ortiz trifft beides zu, aber auf zwei vollkommen unterschiedliche Arten. Mit „Burton & Cyb“ und „Die 1000 Gesichter von Jack the Ripper“ beweist dieses legendäre Duo, dass sie nicht nur technisch brillant sind, sondern auch erzählerisch in völlig verschiedenen Genres eine einzigartige Handschrift haben – die Handschrift zweier Erzähler, die die Comicwelt auf eine Weise beherrschen, die man nur selten sieht. Beginnt man mit der Gesamtausgabe von „Burton & Cyb“, taucht man in eine Welt ein, die auf den ersten Blick wie eine wilde Mischung aus Space Opera, Italo-Western und Monty-Python-Sketch wirkt. Doch unter der schrägen Oberfläche brodelt etwas anderes – eine satirische, fast anarchische Energie, mit der Segura nicht nur den amerikanischen Actionhelden karikiert, sondern gleich das ganze Genre mitnimmt.

Burton, ein großmäuliger, überheblicher, aber irgendwie liebenswerter Draufgänger, und sein wortkarger Cyborg-Kumpel Cyb stolpern von einem Abenteuer ins nächste – immer in der Hoffnung auf das große Geld, aber nie weit entfernt von völliger Katastrophe. Dabei geraten sie in Szenarien, die völlig durchgeknallt sind und doch nie ins Beliebige abdriften: Sie verkaufen Waffen an Aliens, kloppen sich mit Monstern aus der Popkulturgeschichte oder geraten an außerirdische Bürokratie-Systeme, gegen die Kafka wie ein Organisationswunder wirkt. Die Zeichnungen von Ortiz sind dabei ein Fest: voller Dynamik, Details und Ausdruckskraft. Er bringt Leben in jede noch so absurde Figur, verleiht selbst schleimigen Tentakelwesen Charakter und lässt Raumstationen wie heruntergekommene Hinterhöfe wirken – irgendwo zwischen „Blade Runner“ und „Mad Max“ auf LSD. Doch was „Burton & Cyb“ über reinen Slapstick oder eine schlichte Parodie hinaushebt, ist die subtile Gesellschaftskritik, die zwischen den Panels mitschwingt. Die Gier, die Geltungssucht, der Irrsinn der Waffenlogik – all das ist da, immer leicht versteckt hinter Gags und Explosionen, aber nie ganz zu übersehen. Segura war nie ein Autor, der sich mit Oberflächlichkeiten zufriedengab, und genau das macht die Serie heute noch so relevant. Trotz aller Albernheit fühlt man sich manchmal ertappt, wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Und dann schlägt man „Die 1000 Gesichter von Jack the Ripper“ auf – und ist plötzlich in einer völlig anderen Welt. Kalt, finster, ohne jede Ironie. Es ist, als würde dieselbe Hand, die eben noch mit burleskem Schwung durch das All zeichnete, jetzt mit chirurgischer Präzision die Schatten Londons zerschneiden. Diese Sammlung von Kurzgeschichten, erschienen ursprünglich in der Zeitschrift „Creepy“, ist eine beklemmende Reise durch eine Stadt, in der das Böse nicht nur im Nebel lauert, sondern in jeder Ecke, in jedem Gesicht, in jedem Beruf. Segura nutzt das ungelöste Rätsel um Jack the Ripper nicht, um eine endgültige Theorie zu präsentieren, sondern als Ausgangspunkt für eine düstere Meditation über die Abgründe der menschlichen Seele. Jeder der Täter, den er uns präsentiert, ist glaubhaft – und das ist vielleicht das Beunruhigendste daran. Denn in dieser Welt kann jeder der Mörder sein: der Polizist, der Matrose, der Bettler. Der Schrecken liegt nicht in der Identität des Rippers, sondern in seiner Allgegenwart. Ortiz‘ Zeichnungen sind hier fast schon expressionistisch: grob, düster, tiefschwarz. Jede Seite ist ein Meisterwerk des atmosphärischen Erzählens. London wirkt wie ein lebender Albtraum, durchzogen von schmierigen Gassen, schwankendem Gaslicht und verzerrten Gesichtern, die man nicht so schnell vergisst. Wo „Burton & Cyb“ visuell explodiert, reduziert sich „Jack the Ripper“ auf das Notwendigste – und genau darin liegt seine Wucht. Es ist kein Comic, den man mal eben so liest. Es ist ein Blick in den Abgrund, der einen noch Tage später verfolgt. Was diese beiden Werke so faszinierend macht, ist ihr Kontrast – und doch ihre stille Verbindung. Beide Male erzählen Segura und Ortiz von Systemen, in denen Menschen versuchen zu überleben: im einen Fall das chaotische Universum, in dem Gier und Dummheit regieren, im anderen das düstere viktorianische London, wo Wahnsinn und Gewalt sich in jeder Gasse verbergen. Beide Male zeigen sie Figuren, die nicht heldenhaft sind, sondern getrieben, überfordert, zerbrechlich oder schlicht unfähig, sich gegen das größere Ganze zu wehren. Der Humor der einen Geschichte ist nur scheinbar das Gegenteil des Grauens in der anderen – in beiden schwingt die Ahnung mit, dass der Mensch, wenn er sich selbst überlassen ist, leicht auf Abwege gerät. Ob in der Zukunft oder in der Vergangenheit, ob mit Laserkanone oder Rasiermesser – Segura und Ortiz sehen den Menschen mit scharfem Blick, und sie scheuen nicht davor zurück, auch das Unangenehme sichtbar zu machen. Diese beiden Comics gemeinsam zu lesen, ist wie ein Wechselbad: Man lacht, man staunt, man friert, man denkt nach. Sie zeigen, wie weit das Medium Comic reichen kann – vom absurden Weltraum-Klamauk bis hin zur tiefgründigen psychologischen Horrorerzählung. Und sie beweisen, dass Antonio Segura und José Ortiz ein kreatives Duo waren, das nicht nur Genres beherrschte, sondern das Leben in all seinen bizarren und finsteren Facetten – mit viel Gespür, technischer Meisterschaft und dem Mut, auch dahin zu schauen, wo es wehtut.