// aufgelesen vol. (5)56 – „umlaufbahnen“

mit dem Werk „Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey. // Samantha Harvey entführt uns in ihrem Roman Umlaufbahnen auf eine literarische Reise, die so faszinierend und rätselhaft ist wie das Universum selbst. Auf nur etwas mehr als Seiten gelingt es ihr, den Alltag von sechs Astronauten an Bord einer Raumstation zu einem berührenden Spiegelbild der Menschheit zu […]

mit dem Werk „Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey.

// Samantha Harvey entführt uns in ihrem Roman Umlaufbahnen auf eine literarische Reise, die so faszinierend und rätselhaft ist wie das Universum selbst. Auf nur etwas mehr als Seiten gelingt es ihr, den Alltag von sechs Astronauten an Bord einer Raumstation zu einem berührenden Spiegelbild der Menschheit zu machen. Mit ihrer poetischen und präzisen Sprache fängt sie die Schwerelosigkeit des Alls ebenso ein wie die tiefen, menschlichen Fragen, die sich in dieser Isolation und Weite aufdrängen. Die Figuren – zwei Frauen und vier Männer aus unterschiedlichen Nationen – arbeiten, essen und leben in der engen Raumstation, während sie die Erde in nur 90 Minuten umrunden. Der Blick aus einem kleinen Fenster auf den blauen Planeten wird zur Grundlage für philosophische Reflexionen über Heimat, Identität und das, was im Leben wirklich zählt. Harvey gelingt es, diese Themen mit einer Leichtigkeit zu durchdringen, die der Schwerelosigkeit des Settings entspricht, und zugleich eine Tiefe zu erreichen, die lange nachwirkt.

Die Geschichte entfaltet sich an einem einzigen Tag, während die Sonne sechzehnmal auf- und untergeht. Doch dieser scheinbar kurze Zeitraum wird durch Harveys meisterhafte Erzähltechnik zu einem epochalen Erlebnis. Zeit verliert ihre gewohnte Bedeutung, und der Leser wird mit der Relativität von Raum und Existenz konfrontiert. Es sind die inneren Monologe, Gedanken und Gefühle der Astronauten, die dieses Buch so intensiv machen. Ihre Isolation auf engstem Raum steht im Kontrast zur unendlichen Weite des Alls, was dem Roman eine fast meditative Qualität verleiht. Harveys Erzählkunst ist beeindruckend: Ihre Sprache ist klar und doch poetisch, ihre Beschreibungen sind präzise und von einer ätherischen Schönheit. Julia Wolfs Übersetzung bewahrt diesen besonderen Stil und transportiert die Eleganz des Originals makellos ins Deutsche. Das Buch ist eine Hommage an die Schönheit des Universums, aber auch eine stille Einladung, den eigenen Blickwinkel zu hinterfragen und die Welt mit neuen Augen zu betrachten. Umlaufbahnen ist mehr als nur ein Roman – es ist eine philosophische Reflexion, eine lyrische Reise und ein intensives literarisches Erlebnis. Samantha Harvey hat ein Werk geschaffen, das sich den großen Fragen des Lebens widmet, ohne je erdrückend zu sein. Es ist ein Buch, das inspiriert, nachklingt und Leserinnen und Leser dazu einlädt, den eigenen Platz in der Weite des Universums zu überdenken. Ein würdiger Anwärter auf den Booker Prize und ein Meisterwerk moderner Literatur.