// strichcode vol. (4)19 – „feuer in berlin“

mit den drei Werken „Brüssel (Der grosse Traum)“, „Feuer in Berlin (Die Berlin-Trilogie)“ und „Halloween Blues (Band 2)“. // Drei Comics, drei vollkommen unterschiedliche Welten – und doch eine spürbare Verbindung zwischen ihnen: ein tiefes Gespür für Atmosphäre, für die Risse unter der Oberfläche der Gesellschaft. Die Berlin Trilogie beginnt mit „Feuer in Berlin“ (Kerr, […]

mit den drei Werken „Brüssel (Der grosse Traum)“, „Feuer in Berlin (Die Berlin-Trilogie)“ und „Halloween Blues (Band 2)“.

// Drei Comics, drei vollkommen unterschiedliche Welten – und doch eine spürbare Verbindung zwischen ihnen: ein tiefes Gespür für Atmosphäre, für die Risse unter der Oberfläche der Gesellschaft. Die Berlin Trilogie beginnt mit „Feuer in Berlin“ (Kerr, Boiserie, Warzala), und dieser Auftakt katapultiert uns unmittelbar in eine düstere, zerrissene Stadt der späten 1920er-Jahre. Der Weltkrieg ist gerade vorbei, aber die Stadt liegt noch immer im Fieber von Gewalt, Armut und politischer Instabilität. In diesem Sumpf bewegt sich Bernie Gunther, ein Charakter, der in seiner schroffen Zerrissenheit an die großen Noir-Figuren erinnert – desillusioniert, aber nicht abgestumpft, verletzlich und gleichzeitig zäh wie Leder. Seine Ermittlungen im Auftrag eines mächtigen Industriellen führen ihn direkt hinein in ein Berlin, das voller Schatten und tödlicher Geheimnisse ist.

Der Comic adaptiert die Vorlage von Philip Kerr meisterhaft: Die Zeichnungen sind atmosphärisch, von dunklen Grautönen und rauchigen Lichtspielen durchzogen, und jede Szene atmet den Geist einer Stadt am Rande des Abgrunds. Man riecht förmlich den Qualm verbrannter Häuser und den Alkohol aus den verruchten Bars, die Bernie auf seiner Suche nach der Wahrheit durchstreift. Es ist eine Geschichte, die nicht auf schnelle Action setzt, sondern auf beklemmende Spannung, auf den schleichenden Zerfall von Moral und Hoffnung, und genau das macht „Feuer in Berlin“ so unglaublich intensiv.

Wenn man dann „Brief aus Gettysburg“, den neuen Band aus der Reihe „Halloween Blues“ (Kas, Mythic) aufschlägt, wirkt der Ton zunächst vollkommen anders – aber unter der Oberfläche begegnet man einer sehr ähnlichen Melancholie. Auch hier geht es um Verlust, um die Geister der Vergangenheit, die einen nicht loslassen. Forester Hill, ein Inspektor mit einem düsteren Privatleben, erlebt eine Liebesnacht mit seiner toten Frau Dana – ein surrealer Moment, der berührt, ohne kitschig zu werden. Der Fall, in den er daraufhin hineingezogen wird, wirkt fast nebensächlich gegenüber dieser tiefen Trauer, dieser Sehnsucht nach etwas, das unwiederbringlich verloren ist. Und doch ist da dieser Briefschatz, die Briefe von Robert E. Lee, die von einer völlig anderen Epoche erzählen und doch dieselbe menschliche Verlorenheit spiegeln. Der Comic spielt virtuos mit diesem Wechsel zwischen kriminalistischer Logik und emotionaler Tiefe. Die Zeichnungen sind klarer, heller als bei „Feuer in Berlin“, aber immer wieder schleichen sich dunkle Schatten in die Panels – als Erinnerung daran, dass auch das scheinbar Offensichtliche seine verborgenen Tiefen hat. Halloween Blues schafft es, Krimi, Mystery und eine sehr zarte Liebesgeschichte miteinander zu verweben, und das mit einer Feinfühligkeit, die mich wirklich überrascht und bewegt hat. Und dann kommt „Brüssel – Der große Traum“, und alles wird noch einmal auf eine ganz andere Ebene gehoben. Hier ist es nicht ein einzelner Mordfall oder eine düstere Verschwörung, die den Ton angibt, sondern eine ganze Stadt – gefangen in Erinnerungen, Sehnsucht, und einer fast magischen Liebe zur eigenen Geschichte. In den „Geheimnisvollen Städten“ haben die Künstler Schuiten und Peeters immer wieder urbane Fantasiewelten erschaffen, aber in „Brüssel“ wenden sie sich der realen Welt zu, ohne ihre poetische Handschrift zu verlieren. Brüssel wird zur lebenden Figur, zu einem Ort, der wächst, leidet, hofft und sich verändert.

Es ist faszinierend zu sehen, wie sehr dieser Band auch eine Reflexion über das eigene Schaffen ist – über die Spuren, die man in einer Stadt hinterlässt, bewusst oder unbewusst. Die Zeichnungen sind überwältigend schön: riesige Plätze, feine Jugendstil-Fassaden, verwinkelte Gassen – alles in einer Mischung aus präziser Architekturzeichnung und traumverlorener Fantasie. Und immer wieder spürt man in jeder Zeile, in jedem Bild: Hier wird eine Stadt nicht verklärt, sondern in all ihrer Widersprüchlichkeit umarmt. Es ist eine Hommage an die Veränderung, an das Werden und Vergehen, die leise Trauer darüber, dass nichts für immer bleibt, gepaart mit der Freude daran, dass überhaupt etwas entsteht. Was diese drei Werke verbindet, ist nicht nur die hohe erzählerische Qualität oder die visuelle Brillanz – es ist ihre tiefe Menschlichkeit. „Feuer in Berlin“ erzählt von einer Stadt und ihren verlorenen Seelen, die im Kampf ums Überleben ihre Unschuld längst geopfert haben. „Halloween Blues“ zeigt, wie selbst der Tod die Liebe nicht ganz auslöschen kann und dass Erinnerungen manchmal schwerer wiegen als jede greifbare Realität. Und „Brüssel – Der große Traum“ lädt uns ein, unsere eigene Geschichte, unsere Städte und unsere Träume mit anderen Augen zu sehen, sie nicht nur als Kulisse zu begreifen, sondern als Teil unseres Seins. Jedes dieser Werke für sich ist ein kleines Meisterwerk – zusammen gelesen entfalten sie eine noch größere Kraft, weil sie zeigen, wie vielfältig, berührend und klug Comics sein können. Hier geht es nicht um schnelle Effekte oder plakative Action, sondern um die langsame, eindringliche Erkundung dessen, was unter der Oberfläche schlummert. Und genau das macht sie so wertvoll und zeitlos.