mit dem für den Deutschen Buchpreis nominierten Werk „Wachs“ von Christine Wunnicke.

// Während ich Wachs von Christine Wunnicke in den Händen hielt, war sofort klar: Das ist kein gewöhnlicher historischer Roman, sondern einer dieser Texte, die aus einer ganz eigenen Welt zu kommen scheinen. Wunnicke schreibt mit einer Leichtigkeit, die trügerisch ist – hinter den geschmeidigen Sätzen lauert eine Schärfe, ein ironischer Witz, eine Zärtlichkeit, die sich nicht anbiedert. Im Zentrum stehen zwei Frauen, deren Leben auf den ersten Blick nicht weiter voneinander entfernt sein könnten: Marie Biheron, die schon früh Leichen seziert, um mit Wachs die Anatomie des Menschen nachzubilden, und Madeleine Basseporte, die mit feiner Hand Blumenzeichnungen anfertigt und sich dabei von Menschen lieber fernhält.
Dass ausgerechnet diese beiden sich ineinander verlieben, ist keine zufällige Pointe, sondern eine große literarische Geste: eine Liebesgeschichte, die gegen jede Wahrscheinlichkeit und gegen die engen Strukturen ihrer Zeit existiert. Was mich beim Lesen besonders begeistert hat, ist die Mischung aus Präzision und Fantasie. Wunnicke scheut sich nicht vor grotesken Bildern – die aus Wachs modellierten Organe, die morbide Faszination für das Innenleben des Menschen – und verwebt sie zugleich mit einer fast poetischen Leichtigkeit. Ich hatte oft das Gefühl, auf einer Bühne zu sitzen, während ein Schauspiel aufgeführt wird, das zwischen Komödie und Tragödie pendelt. Und dann sind da die Männer, die, wie der Klappentext so schön sagt, in „schönen Nebenrollen“ auftreten: ein Bestsellerautor, der sich selbst zu wichtig nimmt; ein junger Nichtsnutz, der eigentlich nur stört; Diderot, der Kaffee trinkt und redet. Diese Figuren geben der Geschichte Witz und Tempo, aber im Kern sind es die beiden Frauen, die das Buch tragen – ihre Leidenschaft, ihre Eigenheiten, ihre unbeirrbare Beharrlichkeit, sich von niemandem die Deutungshoheit über ihr Leben nehmen zu lassen. Der historische Rahmen – Frankreich im 18. Jahrhundert, der Übergang von der Vor- zur Revolution – ist nicht bloß Kulisse, sondern atmende, pulsierende Umgebung. Wunnicke zeigt das Schöne (die Küchenschellen am Wegesrand) genauso wie das Grauen (die Enthauptungen, die mit fast alltäglicher Nüchternheit geschildert werden). Mich hat beeindruckt, wie sie es schafft, den Schrecken dieser Zeit nicht mit Pathos, sondern mit einer Art lakonischer Eleganz darzustellen. Dadurch wird die Gewalt nicht abgeschwächt, sondern im Gegenteil noch eindringlicher. Wachs ist für mich ein Roman, der sich gegen jede Schublade sperrt: Liebesgeschichte, Künstlerinnenroman, historische Satire, philosophisches Nachdenken über Vergänglichkeit – und zugleich etwas ganz Eigenes. Ich habe mich beim Lesen oft ertappt, wie ich lächelte, obwohl die Szene makaber war, oder wie ich plötzlich von einer unerwarteten Zärtlichkeit getroffen wurde, wo ich eigentlich Ironie erwartete. Dass das Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, wundert mich nicht im Geringsten. Es hat diese Mischung aus Originalität, sprachlicher Brillanz und inhaltlicher Kühnheit, die man so selten findet. Wunnicke gelingt es, eine Geschichte zu erzählen, die tief in der Vergangenheit verankert ist und trotzdem unmittelbar gegenwärtig wirkt – ein Buch, das die Grenze zwischen Ernst und Spiel, zwischen Schönheit und Grauen immer wieder neu austariert.
UND WAS NUN?