mit dem Werk „Anime – Der ultimative Guide“.

// „Anime – Der ultimative Guide“ von Joe O’Connell ist eines dieser Bücher, die man aufschlägt – und sofort spürt, dass hier jemand schreibt, der das Medium wirklich liebt. Der Band, der bei Prestel erscheint, versammelt 100 Filme und Serien, die man als Anime-Fan kennen sollte, und schafft dabei etwas, das nur wenigen Überblickswerken gelingt: Er ist informativ, leidenschaftlich und wunderschön gestaltet zugleich. O’Connell, bekannt durch das Projekt Beyond Ghibli, schreibt aus der Perspektive eines Kenners, der Anime nicht nur analysiert, sondern lebt. Statt bloßer Inhaltsangaben liefert er in kurzen, klugen Essays Einblicke in die Entstehung, Wirkung und kulturelle Bedeutung der einzelnen Titel – von Klassikern wie Akira oder Ghost in the Shell bis zu moderneren Perlen, die selbst viele Fans vielleicht noch nicht entdeckt haben. Dabei gelingt ihm ein Ton, der weder belehrend noch distanziert ist: Er möchte neugierig machen, einladen, inspirieren. Beim Lesen merkt man schnell, dass dieser „Guide“ nicht nur eine Sammlung von Fakten ist, sondern eine Liebeserklärung an die Vielschichtigkeit der japanischen Animation. Besonders gelungen ist die Mischung aus visueller Opulenz und inhaltlicher Tiefe.
Über 200 farbige Abbildungen, prägnante Layouts und klar strukturierte Kapitel machen das Buch zu einem echten Hingucker – fast so, als würde man durch ein liebevoll kuratiertes Museum der Anime-Geschichte blättern. Die Texte sind kompakt, aber pointiert: Sie erklären, was einen Film besonders macht, ordnen ihn historisch ein und geben immer wieder Empfehlungen, wie man weiter in das jeweilige Genre eintauchen kann. So entsteht beim Lesen eine Art Landkarte, auf der man sich je nach Geschmack und Erfahrung seinen eigenen Weg durch die Anime-Welt bahnen kann. Besonders spannend ist, wie O’Connell die internationale Rezeption von Anime beleuchtet – und damit auch die besondere Geschichte dieses Mediums in Deutschland. Denn Anime hat hierzulande eine ganz eigene Entwicklung genommen: Während in Japan schon seit den 1950er-Jahren Serien wie Astro Boy oder Heidi (eine japanisch-schweizerische Co-Produktion!) das Fernsehen prägten, begann die deutsche Anime-Geschichte erst Jahrzehnte später richtig Fahrt aufzunehmen. In den 1980er- und 1990er-Jahren liefen die ersten Animes im deutschen Fernsehen – oft noch unbemerkt, weil sie als „Kinderzeichentrick“ einsortiert wurden. Serien wie Captain Future, Die Kickers oder Sailor Moon weckten in einer ganzen Generation die Liebe zu dieser besonderen Form des Erzählens. Der große Durchbruch kam dann mit Dragon Ball Z, Pokémon und One Piece, die Ende der 1990er und Anfang der 2000er auf RTL II liefen und Anime endgültig in der deutschen Popkultur verankerten. Heute ist die Situation eine völlig andere: Streamingdienste wie Crunchyroll, Netflix oder Amazon Prime machen es möglich, aktuelle Serien zeitgleich mit Japan zu sehen, und auch Manga-Verlage wie Carlsen, Tokyopop oder Egmont sorgen dafür, dass die Geschichten in Buchform überall zugänglich sind. Festivals wie die Connichi oder die Animagic ziehen jährlich Tausende Besucher*innen an – ein Beweis dafür, dass Anime längst nicht mehr Nischenkultur, sondern fester Bestandteil der Jugend- und Gegenwartskultur ist. O’Connell fängt dieses Phänomen wunderbar ein, ohne den akademischen Ton vieler Fachbücher anzunehmen. Er versteht Anime als globale Sprache – eine Kunstform, die Grenzen überschreitet, Emotionen spiegelt und zugleich tief in der japanischen Kultur verwurzelt bleibt. Dabei zeigt er, wie unterschiedlich die Stimmen dieser Welt sein können: von Hayao Miyazakis poetischem Realismus über die düsteren Visionen eines Satoshi Kon bis hin zu den popkulturellen Explosionen eines Makoto Shinkai. Mir persönlich gefällt vor allem, dass O’Connell Anime als kulturelles Phänomen ernst nimmt, ohne den Spaß daran zu verlieren. Er schreibt über die großen Themen – Gesellschaft, Identität, Technik, Liebe – genauso selbstverständlich wie über die stilistischen Eigenheiten, die Anime von westlicher Animation unterscheiden. Man spürt, dass er sowohl Neulinge abholen als auch erfahrene Fans herausfordern will. Das Buch funktioniert damit auf mehreren Ebenen: als Einführung für alle, die verstehen wollen, warum Anime weit mehr ist als „nur Zeichentrick“, als Nachschlagewerk für Kenner, die ihr Wissen vertiefen möchten, und schlicht als wunderschöner Bildband, den man immer wieder gern zur Hand nimmt. Letztlich ist das Buch kein trockener Kanon, sondern eine Einladung – eine Reise durch Welten voller Fantasie, Emotion und künstlerischer Freiheit. Für alle, die Anime lieben oder verstehen wollen, warum dieses Medium so viele Menschen weltweit berührt, ist O’Connells Guide ein idealer Begleiter – und vielleicht der schönste Beweis dafür, dass zwischen Heidi, Akira und Your Name eine gemeinsame Magie liegt: die Kraft, uns träumen zu lassen.
UND WAS NUN?