mit den Werk „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ (Doppelband-Edition 2) von Hayao Miyazaki.

// Es gibt Manga, die man liest – und solche, die man erlebt. Nausicaä aus dem Tal der Winde gehört eindeutig zu Letzteren. Auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung entfaltet Hayao Miyazakis epische Umweltparabel eine beinahe beunruhigende Aktualität. Mit der neuen Doppelband-Edition bringt Carlsen diesen Klassiker nicht nur zurück ins Regal, sondern auch zurück ins Bewusstsein einer Zeit, die seine Botschaften dringender braucht denn je. Hayao Miyazaki zeigt hier, lange vor seinen Studio-Ghibli-Filmen, welche geistige und künstlerische Kraft in ihm steckt. Band 2 setzt die Geschichte der mutigen Prinzessin aus dem windumtosten Tal nahtlos fort – und je tiefer man eintaucht, desto stärker fühlt man das Herz von Miyazakis Werk schlagen. Nausicaä ist keine typische Heldin, keine Kämpferin, die um Macht oder Ruhm ringt. Sie steht für eine Form von Stärke, die im Verstehen liegt, im Mitfühlen, im Zuhören – sogar gegenüber jenen Wesen, die von den Menschen gefürchtet und missverstanden werden.
Der Manga bleibt damit nicht nur spannend, sondern zutiefst menschlich. Was diesen Band so ergreifend macht, ist die wachsende Komplexität der Welt, die Miyazaki erschaffen hat. Das Meer der Fäulnis breitet sich weiter aus, die politischen Konflikte spitzen sich zu, und immer wieder geraten Menschen, Natur und Moral in ein fragiles Gleichgewicht. Miyazakis Zeichenstil – in dieser Ausgabe mit dunkelbraun-weißen Strichzeichnungen und eindrucksvollen Farbseiten – trägt wesentlich dazu bei. Die Illustrationen wirken roh und organisch, fast so, als wäre der Wald selbst durch den Stift auf das Papier gewuchert. Jede Seite hat eine Sogwirkung, die an seine detaillierten Filmhintergründe erinnert, nur wilder, unmittelbarer, weniger gebändigt durch Filmproduktion und Studio. Besonders spannend ist, wie sehr Nausicaä als Brücke dient zwischen Miyazakis Arbeit als Manga-Autor und seiner späteren Karriere als Regisseur. In Band 2 sieht man bereits all jene Themen, die seine Filme weltberühmt gemacht haben: Umweltzerstörung, Krieg und Militarismus, moralische Ambivalenz, die Würde aller Lebewesen – und mittendrin eine Figur, die Hoffnung verkörpert, ohne naiv zu sein. Es ist, als würde man dem jungen Miyazaki beim Denken zusehen, dabei, wie seine Visionen Form annehmen. Und gerade deshalb liest sich der Manga so intim, so nah. Für mich persönlich hat dieser Band etwas Beruhigendes und gleichzeitig Verstörendes. Beruhigend, weil die Welt von Nausicaä zeigt, dass Empathie selbst in dunkelsten Zeiten möglich bleibt. Verstörend, weil die Warnungen in Miyazakis Werk heute lauter klingen als bei seiner Erstveröffentlichung in den 1980ern. Die toxischen Wälder, die zerstörten Ökosysteme, die Kriege um Ressourcen – vieles davon wirkt wie ein Spiegel dessen, was wir zunehmend um uns herum erleben. Und vielleicht ist genau das der Grund, warum Nausicaä zeitlos ist: weil er uns zwingt, über unsere Beziehung zur Natur nachzudenken. Die Doppelband-Edition selbst ist prachtvoll ausgestattet – großformatig, wertig, mit Farbseiten, die im Regal ebenso wirken wie in der Hand. Der Band führt die Geschichte hin zu einem Punkt, an dem man unmöglich aufhören möchte zu lesen. Die erzählerische Dichte ist hoch, der Ton wird ernster, und Nausicaäs Kampf erweitert sich vom Schutz ihres Tals zum Kampf um die Zukunft einer sterbenden Welt. Dazu kommt die Biografie Miyazakis, die in gewisser Weise Teil dieses Werkes ist. Er begann Nausicaä zu zeichnen, bevor Studio Ghibli existierte, und arbeitete über ein Jahrzehnt daran – parallel zu seinen frühen Filmen. Man spürt, dass dieser Manga für ihn ein Herzensprojekt war, ein Ort kreativer Freiheit. Viele sehen Nausicaä heute als Fundament für alles, was Ghibli später werden sollte. Und wenn man das Werk liest, versteht man warum: weil hier schon jenes poetische Zusammenspiel aus Weltschmerz und Hoffnung angelegt ist, das Miyazaki später zur Legende machte. Nausicaä aus dem Tal der Winde ist deshalb nicht nur ein Stück Manga-Geschichte, sondern ein Werk, das man immer wieder neu lesen kann, weil es mit dem Leser wächst. Es ist melancholisch, mutig, visionär – und zweifellos eines der wichtigsten Werke eines Künstlers, der wie kaum ein anderer zeigen kann, wie stark Geschichten uns verändern können. Ein Muss für Miyazaki-Fans, ein Geschenk für alle, die fantastische Welten lieben, und ein Werk, das uns vielleicht ein wenig lehrt, wie wir unsere eigene Welt besser behandeln könnten.
UND WAS NUN?