mit den Werken „Wir können doch Freunde bleiben – Trennungsgeschichten aus der Hölle“ von Katja Lewina und „Medulla“ von Verena Güntner.

// Zwischen Verena Güntners Medulla und Katja Lewinas Wir können doch Freunde bleiben entsteht ein spannender Resonanzraum: zwei Bücher mit einem Blick für emotionale Feinmechanik – und doch könnten sie thematisch kaum unterschiedlicher ansetzen. Gleichzeitig erzählen sie, nebeneinander gelesen, von derselben großen Frage, die das intime Gelände unserer Beziehungen seit jeher bestimmt: Was geschieht mit uns, wenn Nähe kippt? Was bleibt übrig, wenn wir uns verändern? Und wie sieht ein neues Leben aus, wenn das alte plötzlich zu eng wird? Medulla beginnt im drückenden Berliner Sommer, einem Sommer, der die Körper der Figuren auflädt, als würden sie unter einer inneren Spannung stehen. Drei Paare geraten in eine Art langsame Driftbewegung, die man kaum bemerkt, bis der Riss auf einmal offen daliegt. Besonders eindrucksvoll sind dabei die drei schwangeren Frauen – Siv, Leyla, Esther –, deren Körper und Biografien gleichermaßen im Übergang stecken. Ihre Schwangerschaften werden nicht als zarte Vorfreude erzählt, sondern als Energie, die Dinge verschiebt: Beziehungen, Selbstbilder, Lebensentwürfe. Güntner schreibt sinnlich, mit einer Intensität, die zugleich warm und irritierend ist, und öffnet Räume, in denen sich Zartheit und Widerstand berühren. Die Frage, was ein Neuanfang kosten darf, zieht sich wie ein dunkler Faden durch diese Geschichten, und doch wirkt der Roman hell, vorwärtsgewandt, fast trotzig. Er erzählt von Aufbruch, aber auch vom Schock der Freiheit.
Katja Lewina setzt an einem anderen Punkt an: nicht am Beginn eines neuen Lebens, sondern am Moment, in dem ein bestehendes Leben auseinanderbricht. In Wir können doch Freunde bleiben sammelt sie Trennungsgeschichten, die so ehrlich, absurd, bitter und manchmal komisch sind, dass man beim Lesen unweigerlich zwischen Entsetzen und Lachen pendelt. Lewina ist bekannt für ihren scharfen Blick auf intime Beziehungsrealitäten, und hier seziert sie die vielen Varianten des Abschieds mit großer Empathie und einem wachen Gespür für menschliche Schwächen.

Die Geschichten – von Annette, Rayk, Maximilian und vielen anderen – wirken wie Momentaufnahmen aus einem unsichtbaren Museum emotionaler Katastrophen. Lewina zeigt, wie Menschen stolpern, taumeln, manipulieren, flüchten oder sich endlich befreien. Doch trotz des Chaos gibt es immer einen Punkt, an dem Klarheit einsetzt: Der Trennungsschmerz führt unweigerlich zurück zu uns selbst. Liest man beide Bücher zusammen, entsteht ein unerwarteter Dialog. Medulla zeigt die inneren Bewegungen, die Beziehungen in Frage stellen, während Wir können doch Freunde bleiben erzählt, was vom Menschen übrig bleibt, wenn all diese Fragen nicht mehr hypothetisch sind. Güntner schreibt über das Aufbegehren gegen Lebensentwürfe, die nicht mehr passen; Lewina darüber, wie wir aus den Trümmern solcher Entwürfe wieder aufstehen. Die eine beschreibt das Knistern des Moments, in dem ein Weg sich teilt; die andere das bittersüße Nachglühen, wenn man ihn tatsächlich gegangen ist. Beide Bücher legen frei, wie brüchig und zugleich wie kostbar unsere zwischenmenschlichen Bindungen sind. Sie ergänzen sich wie zwei Teile desselben Zyklus: das Losgehen und das Loslassen, das Entflammen und das Verlöschen, das Ringen um Freiheit und das Aushalten ihrer Folgen. Wer Medulla liest, spürt die Sehnsucht nach Veränderung; wer danach Lewinas Geschichten liest, versteht genauer, warum diese Veränderungen so ungeheuerlich und gleichzeitig so notwendig sind. Diese Paarung zeigt, wie Literatur das Innenleben von Beziehungen vermessen kann, ohne sich mit einfachen Antworten zufriedenzugeben – und genau deshalb hallen beide Bücher lange nach.
UND WAS NUN?