mit den Werken „Von allgemeiner Gültigkeit“ von Natasha Brown und „Öffnet sich der Himmel“ von Seán Hewitt.

// Auf den ersten Blick könnten Natasha Brown und Seán Hewitt kaum unterschiedlichere Romane vorlegen: zwei Geschichten, zwei Tonlagen, zwei literarische Temperamente. Doch wenn man beide nebeneinander liest, entsteht eine Art Resonanzraum – zwei Bücher, die sich ungewollt miteinander verschränken, weil sie etwas Grundlegendes über unsere Gegenwart erzählen: darüber, wie wir zu dem Menschen werden, der wir sein wollen, und wie schwer es ist, die Wahrheit des eigenen Lebens gegen die Erwartungen der Welt zu behaupten. In Von allgemeiner Gültigkeit begleitet man die Londoner Journalistin Hannah bei einer Recherche, die zugleich ihre letzte Chance und ihr größtes Risiko ist. Brown zieht ihre Leser*innen mitten hinein in ein moralisch zerfranstes Land, in dem Wahrheiten konstruiert werden wie Storylines, in dem Sprache selbst zu einer Art Waffe wird. Hannah spürt verzweifelt nach Bedeutung – beruflich wie persönlich – und landet in einem Geflecht aus Opportunismus, politischem Kalkül und medialem Rauschen.
Browns Stil ist scharf, präzise, atemlos; ein Roman, der die Mechanismen enthüllt, mit denen unsere Zeit Wahrheiten herstellt, dreht und zerstört. Fast hat man das Gefühl, beim Lesen durch ein kaltes, helles Licht zu gehen, das jede Unehrlichkeit gnadenlos sichtbar macht. Öffnet sich der Himmel dagegen spielt in einer viel stilleren Welt, in Thornmere, einem kleinen Ort im Norden Englands. James, der junge Erzähler, ist auf der Suche nach einer Wahrheit, die viel älter und zugleich verletzlicher ist: der Wahrheit seines Herzens.

Hewitt erzählt nicht von medialem Lärm, sondern von den leisen Beben eines Jugendlichen, der wachsen, fliehen, fühlen will – und der plötzlich Luke begegnet, einem Jungen, der das Versprechen eines ganz anderen Lebens in sich trägt. Der Roman ist weich, poetisch, fließend. Er leuchtet von innen, wie ein Erinnerungsstück, das man einmal im Leben in der Hand gehalten hat und nie wieder vergesst. Es geht um das Risiko der Liebe, um Sehnsucht, um die Angst, für das Eigentliche einzustehen und dabei alles zu verlieren. Und dennoch stehen beide Romane in einem spannenden Dialog: Brown zeigt eine Gesellschaft, die so laut ist, dass Wahrheiten im Getöse verschwimmen; Hewitt zeigt einen Jungen, der lernen muss, inmitten von Stille, familiären Erwartungen und Schuldgefühlen seine eigene Wahrheit überhaupt erst zu finden. Hannah kämpft gegen ein außen auferlegtes Narrativ – James ringt mit dem, das in ihm wächst. Beide müssen sich entscheiden, ob sie Verantwortung übernehmen: für ihre Worte, für ihre Gefühle, für ihre Zukunft. So unterschiedlich sie sind, wirken beide Romane wie Gegenpole derselben Frage: Was ist „allgemein gültig“ in einem Leben – und was ist nur Kulisse? Brown richtet den Blick auf ein Land im Zerfall und auf die Versuchung, Wahrheit zu instrumentalisieren. Hewitt richtet den Blick auf das Innere eines Menschen, der erst herausfinden muss, welche Wahrheit überhaupt die Kraft hat, sein Leben zu tragen. Gemeinsam gelesen eröffnen diese beiden Bücher ein Panorama der heutigen britischen Literatur: mutig, sprachbewusst, aufrichtig. Die eine Stimme klirrend und analytisch, die andere zärtlich und sehnsüchtig – und gerade dadurch ergänzen sie sich zu einem eindrucksvollen, sehr menschlichen Bild davon, wie wir heute versuchen, uns selbst und die Welt zu verstehen.
UND WAS NUN?