// aufgelesen vol. (6)50 – „boys and girls“

mit dem Werk „Good Morning Boys And Girls – Theaterstücke“ von Juli Zeh. // Juli Zehs neuer Band „Good Morning, Boys and Girls“ versammelt vier ihrer Theaterstücke, die so unterschiedlich ansetzen und doch denselben Kern berühren: die fragile Beschaffenheit einer Gesellschaft, die ständig zwischen Sicherheit und Freiheit neu verhandelt wird. Wer Zeh kennt, weiß, dass […]

mit dem Werk „Good Morning Boys And Girls – Theaterstücke“ von Juli Zeh.

// Juli Zehs neuer Band „Good Morning, Boys and Girls“ versammelt vier ihrer Theaterstücke, die so unterschiedlich ansetzen und doch denselben Kern berühren: die fragile Beschaffenheit einer Gesellschaft, die ständig zwischen Sicherheit und Freiheit neu verhandelt wird. Wer Zeh kennt, weiß, dass sie Politik nicht von oben betrachtet, sondern durch Figuren, die plötzlich an die Kante ihrer eigenen Wirklichkeit geraten. Genau das passiert in diesen Stücken, und jedes setzt dabei einen ganz eigenen Ton. Da ist ein Kaktus, der zum Terrorverdächtigen erklärt wird – eine Idee, die erst absurd klingt und sich dann, wie so oft bei Zeh, überraschend plausibel anfühlt, weil sie zeigt, wie schnell sich Angst verselbstständigt. Ein Banker wacht eines Morgens im falschen Leben auf, als hätte jemand seinen Platz vertauscht und ließe ihn nun gegen ein System anrennen, das keine Zeit für Selbstzweifel kennt. An anderer Stelle sorgt eine vom Himmel fallende Kuh nicht nur für Ärger mit EU-Beamten, sondern für einen Moment, in dem die Logik der Bürokratie mit der Realität eines Fischers kollidiert – komisch, bis es plötzlich gar nicht mehr komisch ist.

Ein Webdesigner zerbricht fast daran, wegen einer gelben Linie am Flughafen verhaftet zu werden, und ein Jugendlicher, der einen Amoklauf plant, wird von jemandem gestoppt, den er nicht eingeplant hat. Zehs Stücke lesen sich wie kleine Labore, in denen unsere Gegenwart unter Druck gesetzt wird. Sie jongliert mit Witz, Übertreibung, Melancholie und dem Wissen, dass hinter jeder absurden Szene etwas sehr Ernstes lauert. Viele Stellen wirken, als würde sie uns beim Lesen direkt den Ellbogen in die Seite stoßen – mit der Frage, wie viel Kontrolle wir eigentlich hinnehmen, ohne es zu merken. Und obwohl ihre Gedankenwelt oft düster erscheint, bleibt doch immer ein Funken Leichtigkeit, manchmal sogar Trost: Menschen können falsch liegen, stolpern, überreagieren – aber sie können auch aufstehen und fragen, wie es besser ginge. Die Dramatik der Stücke lebt von Zehs präzisem, klaren Stil, der ihre politische Schärfe nie wie eine Belehrung wirken lässt. Vielleicht entsteht gerade daraus die besondere Spannung, die all ihre Arbeiten begleitet: Man liest sich fest, weil sie uns in eine Welt führt, die nur einen Millimeter neben unserer eigenen liegt. Und man spürt, dass ihre Figuren zwar erfunden sind, aber ihre Konflikte jeden Tag passieren könnten. Dass Juli Zeh schon seit langem zu den prägenden Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur gehört, überrascht inzwischen keinen mehr – ihre Fähigkeit, philosophische und gesellschaftliche Fragen in lebendige, zugängliche Szenen zu packen, ist beeindruckend. „Good Morning, Boys and Girls“ zeigt noch einmal, wie wach und gleichzeitig spielerisch sie schreibt, und wie geschickt sie die feinen Risse im System sichtbar macht, bevor der Alltag sie wieder überdeckt.