// aufgelesen vol. (5)89 – „die schule der nacht“

mit dem Werk „Die Schule der Nacht“ von Karl Ove Knausgård. // Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man ein Buch zuschlägt und das Bedürfnis hat, erst mal in die Dunkelheit zu starren – als müsste man das Gelesene nicht nur verdauen, sondern in sich einsickern lassen, ganz langsam, Schicht für Schicht. So ging es […]

mit dem Werk „Die Schule der Nacht“ von Karl Ove Knausgård.

// Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man ein Buch zuschlägt und das Bedürfnis hat, erst mal in die Dunkelheit zu starren – als müsste man das Gelesene nicht nur verdauen, sondern in sich einsickern lassen, ganz langsam, Schicht für Schicht. So ging es mir mit Karl Ove Knausgårds neuem Roman Die Schule der Nacht, dem vierten Band seiner Morgenstern-Serie. Und obwohl ich mich auf diesen Band gefreut hatte – vor allem, weil ich die ersten drei als vielschichtig, unheimlich und gleichzeitig existenziell bewegend erlebt habe –, war ich doch nicht vorbereitet auf das, was mich hier erwartete: ein Roman über Kunst und Moral, über Schuld und Transzendenz, über Isolation und die Abgründe menschlicher Sehnsucht. Kurz: ein Ritt durch die Nacht der Seele. Im Zentrum steht Kristian Hadeland, ein gefeierter Fotograf, der sich auf einer abgelegenen Insel versteckt, abgeschottet von der Welt, die er einst mit seinen Bildern provoziert und verzaubert hat. Knausgård zeichnet ihn nicht als tragischen Künstler im klassischen Sinn, sondern als jemand, der auf fast schon brutale Weise mit sich selbst abrechnet.

Hadeland hat sein Leben der Suche nach dem „echten Bild“ gewidmet – nicht der schönen Oberfläche, sondern dem Moment, in dem das Leben seine Maske abwirft. Seine Fotos zeigen keine Kunstwelt, sondern das, was wir nicht sehen wollen: Krankheit, Verfall, Schmerz, Einsamkeit. Er hat sich in die Dunkelheit vorgewagt und ist darin beinahe verloren gegangen. Und jetzt – am Ende – will er sterben. Doch wie immer bei Knausgård ist das nur die Oberfläche. Die Schule der Nacht ist kein linear erzählter Roman, kein klassisches Drama. Stattdessen ist er wie ein dunkler Spiegel, der das Licht in gebrochenen Fragmenten zurückwirft. Erinnerungen, philosophische Reflexionen, Traumbilder, Beobachtungen der Natur und Rückblenden mischen sich zu einem dichten Gewebe, das man manchmal regelrecht durchdringen muss. Besonders beeindruckend ist, wie Knausgård die Frage nach Moral in der Kunst stellt, ohne je mit dem Finger zu zeigen. Kristian Hadeland hat mit Menschen gearbeitet, deren Leben er für seine Bilder genutzt – oder: geopfert – hat. Und doch stellt Knausgård ihn nicht als Monster dar, sondern als jemanden, der sich selbst verloren hat in einem Streben nach Wahrheit, das irgendwann jede Empathie verdrängt hat. Der Roman fragt: Was passiert mit einem Menschen, der den Schmerz anderer zur Kunst macht? Gibt es ein Zurück? Gibt es Vergebung – von anderen, oder von sich selbst? Die übergeordnete Morgenstern-Serie, in der ein mysteriöser neuer Stern am Himmel auftaucht, wird auch in diesem Band nicht zur bloßen Kulisse. Sie wirkt wie eine kosmische Metapher für alles, was in den Figuren passiert. Das Übernatürliche, das hier manchmal nur in winzigen Details aufflackert – Lichter, Stimmen, unerklärliche Momente –, durchdringt den Roman wie ein leiser Hall. Es geht nicht darum, ob etwas „wirklich“ ist, sondern darum, wie nah die Wirklichkeit selbst an den Wahnsinn grenzt, wenn man zu tief in sich hineinsieht. Das ist nicht gruselig im klassischen Sinn, sondern metaphysisch verstörend – und gerade deshalb so faszinierend. Die Übersetzung von Paul Berf trägt Knausgårds Stimme klar und unverstellt ins Deutsche. Sie hat etwas Nüchternes, fast Klinisches, aber gerade dadurch bekommt das Poetische, das zwischen den Zeilen schimmert, eine umso stärkere Wirkung. Die Bilder sind oft still, aber gewaltig: das Licht auf nassem Gestein, das Geräusch des Windes, der Geruch von verbranntem Haar. All das hat mich beim Lesen so nah an Hadeland herangeführt, dass ich stellenweise das Gefühl hatte, seine Einsamkeit körperlich zu spüren. Die Schule der Nacht ist kein Roman, den man einfach so „wegliest“. Er fordert Zeit, Aufmerksamkeit, vielleicht auch eine gewisse Bereitschaft, sich den eigenen Dunkelheiten zu stellen. Es ist ein Buch über das Menschsein an der äußersten Kante – in der Kunst, in der Ethik, im Glauben. Aber gerade deshalb ist es so kraftvoll. Knausgård schreibt hier auf eine Weise, die mich oft sprachlos gemacht hat. Nicht, weil er laut wäre, sondern weil er ganz tief gräbt – in die Psyche, in die Biografie, in die Zeit selbst. Am Ende bleibt die Frage: Gibt es Erlösung? Vielleicht nicht im klassischen Sinn. Aber vielleicht in der Geste des Erzählens selbst. Dass wir hinschauen. Dass wir aushalten. Dass wir verstehen wollen. Die Schule der Nacht ist kein einfacher Roman, aber für mich war er ein zutiefst lohnender.