// strichcode vol. (4)24 – „beyond the clouds“

mit den Werken „Beyond The Clouds“ und „Leviathan“ (Band 3). // Manchmal hält man zwei Manga in der Hand, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten – und entdeckt bei näherer Betrachtung, dass sie überraschend ähnlich sind. So ist es bei Beyond the Clouds von Nicke und Leviathan von Shiro Kuroi. Der eine […]

mit den Werken „Beyond The Clouds“ und „Leviathan“ (Band 3).

// Manchmal hält man zwei Manga in der Hand, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten – und entdeckt bei näherer Betrachtung, dass sie überraschend ähnlich sind. So ist es bei Beyond the Clouds von Nicke und Leviathan von Shiro Kuroi. Der eine erzählt eine träumerische, liebevoll illustrierte Fantasyreise für jüngere Leser*innen, der andere ein düsteres, hochspannendes Sci-Fi-Drama über Überleben, Schuld und die letzte Menschlichkeit in der Kälte des Weltalls. Doch bei aller Gegensätzlichkeit in Ton und Stil stehen beide Werke für eines: das unerschütterliche Streben junger Menschen nach Orientierung in einer zerbrechenden oder unbegreiflichen Welt. Beginnen wir mit Beyond the Clouds, dem ersten Band der fünfteiligen Fantasyreihe von Nicke. Der Manga ist wie ein sanfter Windhauch, der trotzdem tief ins Herz weht. In der Welt von Theo, einem jungen Waisen und Mechaniker, verschmelzen Technik und Träumerei zu einer anrührenden Kulisse, in der jedes Zahnrad und jede Rauchwolke eine Geschichte zu erzählen scheint.

Das Städtchen Gelbheim erinnert an die dampfenden Wunderwelten eines Miyazaki-Films – Steampunk-Ästhetik trifft auf märchenhafte Melancholie. Doch Beyond the Clouds ist weit mehr als nur ein hübsch illustriertes Märchen: Als Theo das geheimnisvolle, geflügelte Mädchen Mia findet, beginnt eine Reise, die von Hoffnung, Freundschaft und einer stillen, inneren Kraft erzählt. Die Stärke dieses Bandes liegt in seiner Zärtlichkeit: Nickes Zeichenstil ist filigran und atmosphärisch, jede Figur wirkt lebendig und verletzlich zugleich. Und obwohl sich die Geschichte eher leise und poetisch entfaltet, bleibt sie stets spannend – getragen von der Frage, wer Mia ist und was ihr widerfahren ist.

Auf der anderen Seite des Genrespektrums steht Leviathan, das Finale einer dreibändigen Sci-Fi-Reihe, das seine Leser*innen nicht sanft umschmeichelt, sondern mit voller Wucht ins Vakuum schleudert. Was als rätselhafte Katastrophengeschichte beginnt, entfaltet sich zum bitteren Überlebensdrama: Jugendliche, isoliert im Wrack eines havarierten Raumschiffs, ohne Aussicht auf Rettung – und nur eine Rettungskapsel mit Platz für eine einzige Person. Diese Prämisse hätte leicht in reinen Nervenkitzel kippen können, doch Shiro Kuroi entscheidet sich für den anspruchsvolleren Weg. Es geht nicht nur ums Überleben, sondern um die moralischen Abgründe, die sich auftun, wenn Ressourcen knapp werden und das Ich gegen das Wir ausgespielt wird. Was bedeutet Menschlichkeit in einer Umgebung, die kein Raum für Fehler lässt? Was bleibt von uns, wenn alles andere wegfällt? Band 3 zieht hier alle emotionalen und psychologischen Register und ist ein kraftvoller, manchmal verstörender Abschluss, der noch lange nachwirkt. Stilistisch sind die beiden Mangas nicht vergleichbar: Während Beyond the Clouds mit Licht, Details und Weichheit spielt, dominiert bei Leviathan eine kantige, teils flüchtige Bildsprache, die das Chaos, die Angst und das moralische Ringen spürbar macht. Leviathan ist klar an ein älteres Publikum gerichtet, auch weil es drastischere Entscheidungen thematisiert und die Dunkelheit menschlicher Abgründe nicht scheut. Beide Werke setzen jedoch ganz bewusst auf Bilder, die nicht nur begleiten, sondern erzählen – atmosphärisch stark, visuell ausdrucksvoll, emotional präzise. Was Beyond the Clouds und Leviathan aber wirklich verbindet, ist ihr Blick auf junge Menschen in Extremsituationen – sei es in einer Welt voller Geheimnisse und verlorener Erinnerungen oder in einer tödlichen, kalten Leere. Beide Werke erzählen davon, wie man sich selbst (wieder)findet, wenn die äußere Welt ins Wanken gerät. Beide stellen die Freundschaft – ob zart und kindlich oder fragil und verzweifelt – ins Zentrum. Und beide zeigen: Es sind nicht die äußeren Umstände, sondern unsere inneren Entscheidungen, die bestimmen, wer wir wirklich sind. So unterschiedlich ihre Tonlage auch ist, laden beide Manga dazu ein, sich in eine fremde Welt zu begeben und sich dabei selbst ein wenig besser kennenzulernen. Ob man nun lieber durch dampfende Gassen fliegt oder durch dunkle Schiffskorridore schleicht – mit Beyond the Clouds und Leviathan liegt man in beiden Fällen richtig. Sie sind zwei Seiten derselben großen Frage: Wie weit würden wir gehen – für ein Versprechen, für einen Traum, für ein Leben?