mit dem Werk „Schweben“ von Amira Ben Saoud.

// Ich weiß nicht genau, was mich zuerst angezogen hat – der poetische Titel, das reduzierte Cover oder einfach das Gefühl, dass dieses Buch nicht laut schreien muss, um gehört zu werden. „Schweben“ von Amira Ben Saoud ist eines dieser Bücher, die man aufschlägt und schon nach wenigen Seiten spürt: Hier geht es nicht um Handlung im klassischen Sinn. Es geht um Atmosphäre. Um ein Gefühl, das sich langsam aufbaut, wie feiner Staub in einem Raum, den lange niemand betreten hat. Die Geschichte beginnt in einer seltsam stillen Welt – fast schon unheimlich friedlich. Die Klimakatastrophe scheint überstanden, Gewalt existiert angeblich nicht mehr. In dieser abgeriegelten Siedlung lebt eine Frau, die sich an ihren eigenen Namen nicht mehr erinnern kann. Ihr Beruf: Sie schlüpft in die Rollen verstorbener oder verschwundener Frauen – für Männer, die den Verlust nicht ertragen, für Familien, die die Leerstelle nicht aushalten. Es klingt skurril, fast dystopisch – aber beim Lesen fühlt es sich beängstigend plausibel an.
Als sie für einen neuen Auftrag in die Haut der geheimnisvollen Emma schlüpft, beginnt etwas zu bröckeln. Wer ist diese Frau, deren Leben sie nun imitieren soll? Und wo hört das Spiel auf – wo beginnt eine neue Realität? Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen der Person, die sie war, die sie spielt, und der, die sie vielleicht werden könnte. Seltsame Phänomene schleichen sich ein, nicht greifbar, aber spürbar. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Siedlung. Oder mit ihr selbst. Was Amira Ben Saoud hier gelingt, ist schwer in Worte zu fassen – weil es weniger um das Was als um das Wie geht. Ihr Schreibstil ist leise, präzise, fast kalt, und doch transportiert er eine ungeheure emotionale Dichte. Kein Wort zu viel, kein Gefühl zu laut – aber alles da. Und das macht diesen Roman so besonders: Er stellt große Fragen (Wer bin ich? Was macht Identität aus? Was bedeutet Nähe?) – aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einer fast gespenstischen Gelassenheit. Ich habe dieses Buch fast wie in Trance gelesen. Nicht, weil es leicht ist – sondern weil es mich in einen Zustand versetzt hat, der schwer zu beschreiben ist. Irgendwo zwischen Trauer, Sehnsucht und einer merkwürdigen Art von Klarheit. „Schweben“ ist ein leiser, schmerzlich schöner Roman über Erinnerung, Verlust und die Kunst des Verbergens. Er stellt die richtigen Fragen – und weigert sich, einfache Antworten zu geben. Wer Geschichten sucht, die sich festkrallen und nachhallen, lange nachdem man die letzte Seite gelesen hat, sollte diesem Debüt eine Chance geben. Es könnte passieren, dass es einem mehr über sich selbst erzählt, als einem lieb ist.
UND WAS NUN?