// presswerke vol. (2)59 – „recognise“

mit der neuen Vinyl-LP von Shura. // Manche Alben rauschen an einem vorbei. Andere bleiben hängen. Und dann gibt es solche, die einen in einer stillen Stunde völlig unverhofft umarmen – wie eine alte Freundin, die sich neben dich setzt und sagt: „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Shuras neues Album I Got Too Sad […]

mit der neuen Vinyl-LP von Shura.

// Manche Alben rauschen an einem vorbei. Andere bleiben hängen. Und dann gibt es solche, die einen in einer stillen Stunde völlig unverhofft umarmen – wie eine alte Freundin, die sich neben dich setzt und sagt: „Ich weiß, wie du dich fühlst.“ Shuras neues Album I Got Too Sad For My Friends ist genau so eine Platte. Keine, die schreit oder sich aufdrängt – sondern eine, die bleibt, weil sie ehrlich ist. Unfassbar ehrlich. Fünf Jahre nach dem letzten Studioalbum Forevher schlägt die britische Sängerin und Songwriterin einen neuen Ton an. Während ihr Debüt Nothing’s Real noch stark von Synthie-Pop und Selbstfindung vibrierte, und Forevher vor allem von queerer Euphorie und Liebe erzählte, ist I Got Too Sad For My Friends eine Rückkehr zur inneren Landschaft – stiller, melancholischer, aber dafür umso intensiver. Shura singt über Traurigkeit, über Isolation, über dieses Gefühl, sich selbst zu verlieren – und über die paradoxe Freude, all das in Musik zu verwandeln. Was beim ersten Lesen des Albumtitels vielleicht nach schwerer Kost klingt, entpuppt sich beim Hören als ein fein gewebter Klangteppich aus Kammerpop, 60er-Jahre-Folk und Americana.

Die Songs wirken wie Polaroids aus einem emotionalen Roadtrip – mal verschwommen, mal gestochen scharf, aber immer zutiefst persönlich. Besonders berührend ist die Tatsache, dass das Album größtenteils live aufgenommen wurde. Bass, Gitarre, Keys und Drums wurden gemeinsam im Studio eingespielt – keine sterile Perfektion, sondern echte, hörbare Nähe. Diese Wärme überträgt sich auf jeden Song. Shuras Stimme bleibt dabei das emotionale Zentrum – klar, zerbrechlich und doch voll innerer Stärke. Sie erzählt nicht mit großen Gesten, sondern mit Nuancen: einem kaum hörbaren Luftholen, einem gebrochenen Ton, einem leisen Lächeln zwischen den Zeilen. Auf „Ringpull“ schimmert sogar ein Hauch von Funk durch – aber auch hier ohne Effekthascherei, sondern ganz im Dienst der Geschichte. Ein Satz von Shura selbst bringt es vielleicht am besten auf den Punkt: „Auch wenn es nicht unbedingt eine maximalistische Platte ist, war der Ansatz, sie mit maximaler Freude aufzunehmen – was urkomisch ist, denn es geht darum, unglücklich zu sein.“ Diese Selbstironie, dieses Augenzwinkern mitten in der Traurigkeit, macht das Album so besonders. Es ist kein Werk der Hoffnungslosigkeit – sondern eins der Akzeptanz. Es umarmt das Unperfekte, das Unbequeme. Und das tut in einer Zeit wie dieser unglaublich gut. Die Vinyl-Version kommt in einem schlichten, aber wertigen Schuber – inklusive bedruckter Innenhüllen mit allen Songtexten. Eine schöne Geste, denn dieses Album lädt zum Mitlesen, Mitfühlen und Sich-Wiederfinden ein. Man möchte es nicht einfach nur auflegen – man möchte es aufbewahren, wie einen Brief, den man immer wieder liest. Für Fans von Laura Marling, Phoebe Bridgers oder Joni Mitchell ist I Got Too Sad For My Friends ohnehin ein Pflichtkauf. Für alle anderen: gebt dieser Platte eine Chance. Vielleicht findet ihr euch darin wieder. Vielleicht fühlt ihr euch verstanden. Und vielleicht – ganz vielleicht – seid ihr nach dem Hören ein kleines bisschen weniger traurig.