// presswerke vol. (2)58 – „we were made prey“

mit der neuen Vinyl-LP von Kathryn Joseph. // Manche Musik klingt wie ein ferner Ruf durch dichten Nebel – man weiß nicht sofort, woher er kommt, aber man spürt, dass man ihm folgen muss. Kathryn Josephs neues Album We Were Made Prey. ist genau so ein Ruf. Zart, geheimnisvoll, unbequem – und doch zutiefst magnetisch. […]

mit der neuen Vinyl-LP von Kathryn Joseph.

// Manche Musik klingt wie ein ferner Ruf durch dichten Nebel – man weiß nicht sofort, woher er kommt, aber man spürt, dass man ihm folgen muss. Kathryn Josephs neues Album We Were Made Prey. ist genau so ein Ruf. Zart, geheimnisvoll, unbequem – und doch zutiefst magnetisch. Wer Josephs frühere Werke kennt – etwa das intensive For You Who Are the Wronged – weiß, dass sie sich nie scheut, durch seelische Schattenlandschaften zu wandern. Aber We Were Made Prey. geht noch einen Schritt weiter. Es fühlt sich an wie ein Flüstern aus einem verlassenen Haus am Rand der Welt, aufgenommen in völliger Abgeschiedenheit. Und das ist keine Metapher: Produzent und Co-Writer Lomond Campbell hat das Album gemeinsam mit ihr in den rauen Black Bay Studios auf der Isle of Lewis eingespielt – mitten im Wind, mitten in der Stille. Elf Songs in 39 Minuten – das klingt knapp. Und doch braucht dieses Album keine Länge, um nachzuwirken.

Jeder Ton, jeder Atemzug ist genau dort, wo er sein soll. Josephs Stimme ist kaum greifbar – sie haucht, flüstert, bricht, und wenn sie singt, dann klingt es oft so, als würde sie ihre Worte erst in diesem Moment entdecken. Es ist kein Gesang, der sich beweisen will. Es ist ein Gesang, der überlebt. Die drei Singles – „Harbour“, „Deer“ und „Wolf“ – geben eine Ahnung davon, wie vielschichtig und unheimlich schön dieses Album ist. „Harbour“ eröffnet das Album, als würde es gerade dämmern – klanglich reduziert, aber emotional riesig. „Deer“ gleitet fast rituell dahin, verletzlich und zugleich kraftvoll. Und „Wolf“ ist der vielleicht bedrohlichste Moment des Albums – ein musikalisches Zähnefletschen unter der Oberfläche, während alles äußerlich still bleibt. Die Produktion ist minimalistisch. Synthesizer ziehen sich wie Nebelschleier durch die Songs, Klavieranschläge wirken wie Tropfen auf einem Fensterbrett, ein unterschwelliges Brummen erinnert an entferntes Donnergrollen. Und über all dem: Josephs unverwechselbare Stimme – so eigen, so nah, so seltsam tröstlich. Die Vinyl-Edition – gepresst auf rotem Vinyl – passt perfekt zur Intensität des Albums. Der Schuber ist schlicht gehalten, fast zurückhaltend – aber genau das unterstreicht den intimen Charakter der Platte. Kein übertriebener Schnickschnack, keine Show. Nur Musik, die sich ehrlich anfühlt. Und das tut sie auf erschütternde Weise. We Were Made Prey. ist keine Platte für nebenbei. Sie verlangt Aufmerksamkeit, Zeit, Raum. Aber wer sich darauf einlässt, wird belohnt – mit einer musikalischen Erfahrung, die man nicht so leicht wieder abschüttelt. Es ist Musik für Nächte, in denen man nicht schlafen kann. Für Tage, an denen die Welt zu laut ist. Für Menschen, die wissen, wie sich Verletzlichkeit anfühlt – und die dennoch nicht aufhören, weiterzugehen.