mit dem Werk „Wut und Liebe“ von Martin Suter.

// Ich habe das neue Buch von Martin Suter, Wut und Liebe, regelrecht verschlungen – und es hat mich dabei mehr als einmal eiskalt erwischt. Es ist eines dieser Bücher, bei denen man sich nach der letzten Seite fragt, wie es eigentlich geschafft hat, sich so leise und gleichzeitig so intensiv unter die Haut zu schleichen. Suter bleibt auch in seinem neuen Roman seinem Stil treu: sprachlich präzise, mit einem Blick für das Wesentliche, aber ohne je trocken zu wirken. Und doch ist Wut und Liebe mehr als ein typischer „Suter“ – es ist bitter, zärtlich, manchmal schmerzhaft ehrlich. Im Zentrum steht Noah, ein Künstler Anfang dreißig, der gerade das verliert, was ihm am meisten bedeutet: seine Freundin Camilla. Sie geht – nicht aus Wut, nicht wegen eines großen Streits, sondern weil sie genug hat vom Stillstand, von der ewigen Kompromissbereitschaft, von einem Leben, das sich kleiner anfühlt, als sie es sich vorgestellt hat. Und genau diese nüchterne Trennung tut weh. Kein Drama, kein Geschrei, sondern eine klare, fast kalte Entscheidung. Für sich. Gegen ihn.
Was dann passiert, liest sich fast wie ein moderner Pakt mit dem Teufel. Eine ältere, geheimnisvolle Dame tritt in sein Leben und bietet ihm eine zweifelhafte Möglichkeit, nicht nur seine finanzielle Situation, sondern auch sein Selbstbild zu reparieren. Und natürlich nimmt Noah an. Weil er glaubt, er hätte nichts mehr zu verlieren. Aber auch, weil er – wie wir alle manchmal – lieber an eine schnelle Lösung glaubt, als sich dem zu stellen, was eigentlich weh tut. Suter schreibt diesen Absturz nicht reißerisch, sondern leise, beinahe beiläufig. Und genau das macht es so beklemmend. Es gibt in diesem Buch keinen klaren Helden, keine einfache Moral. Stattdessen gibt es Entscheidungen, die nachvollziehbar sind – und trotzdem falsch. Es gibt Liebe, die so tief geht, dass sie an Abhängigkeit grenzt. Es gibt Wut, die sich nicht nur gegen andere richtet, sondern auch gegen das eigene, gescheiterte Ich. Und es gibt diesen fast demütigen Wunsch nach einer zweiten Chance, der nicht aus Schwäche kommt, sondern aus echter Sehnsucht. Suters Figuren sind wie immer präzise beobachtet, glaubhaft bis ins letzte Detail. Was mir besonders gefallen hat: Er urteilt nicht. Weder über Noah, der sich selbst verliert, noch über Camilla, die sich befreit – aber eben auch jemanden zurücklässt. Die Dialoge sind messerscharf, manchmal schmerzhaft realistisch, manchmal fast poetisch. Und obwohl die Geschichte in einem ganz konkreten urbanen Milieu spielt, wirkt sie in ihrem Kern universell. Wer hat nicht schon einmal jemanden verloren – nicht durch einen Unfall oder Streit, sondern einfach durch das Leben selbst? Wut und Liebe ist kein Buch, das einen umhaut – es ist eines, das bleibt. Das man im Zug liest und vergisst, wo man ist. Das einen nachts nicht schlafen lässt, weil man noch an Noah denkt, an Camilla, an diese stille, gefährliche Sehnsucht nach Anerkennung, Zugehörigkeit und der Hoffnung, noch einmal neu anfangen zu dürfen. Ich habe es mitgenommen in den Alltag, in Gedanken, in Gespräche mit Freunden. Und jedes Mal, wenn ich daran denke, spüre ich dieses Ziehen im Bauch, das nur Bücher auslösen können, die etwas Echtes berühren. Wer Martin Suter schon länger liest, wird dieses Buch als einen seiner stärkeren, persönlicheren Romane empfinden. Wer ihn noch nicht kennt, sollte vielleicht genau hier anfangen. Denn Wut und Liebe ist genau das, was der Titel verspricht: ein zarter, wütender, kluger Roman über das, was uns antreibt – und was uns zerstören kann.
UND WAS NUN?