mit dem Werk „Kein zurück“ von Stephen King.

// Es gibt Bücher, bei denen man beim Zuschlagen erst einmal tief durchatmen muss. Weil sie einen nicht nur unterhalten, sondern festgehalten haben – wie eine kalte Hand am Handgelenk. Kein Zurück ist genau so ein Buch. Stephen King beweist hier einmal mehr, warum er nicht nur der Meister des Horrors ist, sondern auch einer der scharfsinnigsten Beobachter unserer Zeit. Es ist ein Kriminalroman, ja. Aber auch ein psychologischer Drahtseilakt, eine Gesellschaftsstudie, ein Thriller mit Abgründen – und letztlich: ein verdammt gutes Stück Literatur. Im Zentrum steht wieder Holly Gibney, mittlerweile keine Nebenfigur mehr, sondern eine feste Größe im King-Kosmos. Wer sie seit Mr. Mercedes verfolgt hat, wird spüren, wie weit sie gekommen ist. Und doch bleibt sie verletzlich – ein faszinierend zerbrechlicher Charakter, der unter der Oberfläche aus purem Stahl besteht. In Kein Zurück muss sie sich mit einem Fall befassen, der so verstörend wie bizarr ist: Ein Unbekannter kündigt eine Mordserie an – aber er geht nicht auf die Schuldigen los. Sondern auf ihre „Stellvertreter“.
Das erste Opfer: eine Frau ohne erkennbare Verbindung zum Fall. Doch in ihrer Hand: ein Zettel mit dem Namen einer Geschworenen – eine Frau, die einst einen Unschuldigen ins Gefängnis brachte, wo er schließlich ermordet wurde. Es ist ein moralischer Albtraum, der hier Gestalt annimmt. Eine perverse Form von Gerechtigkeit, ein Racheplan, so kalt und durchdacht, dass man beim Lesen mehrfach den Impuls verspürt, kurz das Licht einzuschalten – oder einen Schluck Wasser zu trinken, um der Gänsehaut Herr zu werden. Stephen King nutzt diesen Plot, um gleich mehrere Themen in den Blick zu nehmen. Was ist Schuld? Wer trägt Verantwortung, wenn das System versagt? Und was passiert, wenn jemand beschließt, der selbsternannte Vollstrecker dieser Verantwortung zu werden? Während Holly dem Täter hinterherjagt, stolpert sie zugleich in einen zweiten Strudel: Sie arbeitet als Personenschützerin für eine radikale Feministin, die Drohungen erhält – und damit gerät Holly zwischen die Fronten einer zweiten Art von Fanatismus. King schreibt das alles mit dieser typischen, fast beiläufigen Präzision, die seine besten Romane auszeichnet. Die Figuren atmen. Sie leben, sie stottern, sie schwitzen, sie zweifeln. Und sie erinnern einen daran, dass das wahre Grauen selten mit Reißzähnen kommt – sondern oft in ganz gewöhnlichen Gesichtern steckt. Was mir besonders aufgefallen ist: Kein Zurück ist ein politisches Buch, ohne platt zu sein. Es ist gesellschaftlich relevant, ohne belehrend zu wirken. Es erzählt von Wut, von Extremismus, von dem brüchigen Fundament, auf dem unsere Urteile oft stehen. Und es zeigt – auf sehr King’sche Weise – dass man manchmal an die Grenzen dessen stößt, was Gerechtigkeit eigentlich bedeuten kann. Der Roman zieht sich über mehr als 600 Seiten – aber keine davon ist zu viel. Die Spannung baut sich langsam auf, beinahe unmerklich. Aber sie wächst, kriecht in jede Zeile, jede Szene, bis sich alles verdichtet wie eine dunkle Gewitterwolke kurz vorm Einschlag. Und am Ende steht man da, mit pochendem Herzen und der Erkenntnis: Der Titel Kein Zurück ist nicht nur Programm – er ist eine Warnung. Denn wer sich einmal auf diese Geschichte eingelassen hat, kommt verändert wieder heraus.
UND WAS NUN?