// strichcode vol. (4)30 – „somna“

mit den Werken „Saga“ (Band 12) und Somna. // In Saga von Fiona Staples und Brian K. Vaughn geht es weiter mit Band zwölf – und obwohl man meinen müsste, die Geschichte um Alana, Hazel und ihre bunt zusammengewürfelte Gefährtenschaft könne irgendwann ihren Drive verlieren, passiert genau das Gegenteil. Es ist faszinierend, wie Vaughan es […]

mit den Werken „Saga“ (Band 12) und Somna.

// In Saga von Fiona Staples und Brian K. Vaughn geht es weiter mit Band zwölf – und obwohl man meinen müsste, die Geschichte um Alana, Hazel und ihre bunt zusammengewürfelte Gefährtenschaft könne irgendwann ihren Drive verlieren, passiert genau das Gegenteil. Es ist faszinierend, wie Vaughan es schafft, nach all den vorangegangenen Dramen und Toden immer wieder neue Ebenen zu erschließen. Diesmal ist das Zirkusboot die Kulisse – eine Art schillerndes Zwischenreich, in dem alles möglich scheint, und dennoch nichts einfach ist. Alana stemmt sich gegen den ständigen Druck, Hazel wächst mit einer Mischung aus Neugier und Resignation auf, und Knappe hadert mit sich selbst. Es sind nicht die großen Weltraumschlachten, die diesen Band tragen, sondern die leisen, inneren Konflikte. Während die Welt draußen in Gewalt und politischen Ränken versinkt – nicht zuletzt durch die neue Bedrohung des Roboterkönigreichs – spielt sich das eigentliche Drama in den Figuren ab.

Und genau das macht Saga so stark: Es ist nie nur eine Space Opera. Es ist ein Familienepos, ein Überlebenshandbuch für gebrochene Seelen, ein ständiges Fragen nach Nähe in einer Welt, die Menschen systematisch voneinander trennt. Ganz anders Somna von Becky Cloonan und Tula Lotay – atmosphärisch dichter, viel statischer in seiner Kulisse, aber nicht weniger eindrucksvoll. Diese Geschichte spielt im England der frühen Neuzeit, im Schatten der Hexenverfolgung, und sie lebt vom Unausgesprochenen. Ingrid, die Protagonistin, ist eine gefangene Frau – im wörtlichen wie im seelischen Sinn. Gefangen in einer Ehe mit einem Mann, der sich über das Leben anderer erhebt, indem er sie vernichtet.

Was Somna so besonders macht, ist die Art, wie Erotik und Macht, Verlangen und Unterdrückung sich durch die Seiten winden. Tula Lotays Illustrationen sind wie ein dunkler Traum, sinnlich, rau, stellenweise fast schmerzhaft schön. Und Cloonan erzählt die Geschichte nicht in klaren Linien, sondern in Andeutungen, in Zwischentönen. Ingrid wird verfolgt – von einem dunklen Phantom, das ebenso Bedrohung wie Verheißung ist. Der Horror ist hier kein äußerer, sondern ein innerer: die Angst vor sich selbst, vor dem eigenen Begehren, vor der Wahrheit, die sich nicht mehr verdrängen lässt. Was beide Werke verbindet, ist ihre kompromisslose Intimität. Saga mag voller Aliens, Raumschiffe und interstellarer Politik sein, aber im Kern geht es immer um das Persönliche: Elternschaft, Verlust, Widerstand gegen das Vergessen. Somna bewegt sich im Setting des Folk-Horrors, nutzt historische Kulissen und übersinnliche Elemente, um etwas sehr Gegenwärtiges zu erzählen: die Suche nach Selbstbestimmung in einer Welt, die den Protagonistinnen Angst machen will. Man liest diese beiden Werke nicht nacheinander, sondern fast wie im Gespräch miteinander. Während Hazel in Saga durch eine Welt voller politischer Brutalität stolpert und lernen muss, wer sie ist, tastet sich Ingrid in Somna durch Schatten, die ihr sagen wollen, was sie nicht sein darf. Beide Figuren wachsen in Extremsituationen auf, beide sind Beobachterinnen und Akteurinnen, Überlebende und Fragende. Und beide Werke verweigern sich einfachen Antworten. Am Ende bleibt das Gefühl, zwei vollkommen unterschiedliche Bücher gelesen zu haben, die ein und dieselbe Frage stellen: Was bedeutet es, Mensch zu sein – in einer Welt, die alles daran setzt, dich daran zu hindern? Saga antwortet mit Hoffnung. Somna mit einem verstörenden Kuss im Nebel. Und vielleicht braucht es genau beides.