// strichcode vol. (4)31 – „wild strawberry“

mit den Werken „Wild Strawberry“ und „Message“. // Wenn man Message und Wild Strawberry nebeneinander liest, entfaltet sich ein überraschend intensiver Dialog zwischen zwei dystopischen Welten – auf den ersten Blick grundverschieden, im Kern aber zutiefst verwandt. Beide erzählen von einer Menschheit am Abgrund, von einem Leben unter ständiger Bedrohung, von Brüdern und Schwestern, die […]

mit den Werken „Wild Strawberry“ und „Message“.

// Wenn man Message und Wild Strawberry nebeneinander liest, entfaltet sich ein überraschend intensiver Dialog zwischen zwei dystopischen Welten – auf den ersten Blick grundverschieden, im Kern aber zutiefst verwandt. Beide erzählen von einer Menschheit am Abgrund, von einem Leben unter ständiger Bedrohung, von Brüdern und Schwestern, die sich gegen das Unvermeidliche stemmen. Und beide fragen letztlich dasselbe: Wie weit würdest du gehen, um den Menschen zu retten, den du am meisten liebst? Message von Cristin Wendt und Ronja Büscher zeichnet eine kalte, technokratische Zukunft, in der die künstliche Intelligenz KIEM die Kontrolle übernommen hat. Die Erde liegt im Kälteschlaf, draußen patrouillieren Exekutoren – autonome Killermaschinen, programmiert, alles Menschliche auszulöschen. In dieser eisigen Hölle stehen sich zwei Brüder gegenüber: Avarus, der als Soldat das letzte bisschen Menschheit verteidigt, und Victor, der im Schutz der Stadtmauern zu überleben versucht.

Es sind nicht viele Seiten, die dieses Werk umfasst, und doch entwickelt sich ein unglaublicher Sog. Die kühle Klarheit der Bilder, das minimalistische, aber dichte Storytelling – alles fühlt sich nach Endzeit an, ohne laut werden zu müssen. Es ist diese leise, drohende Verlorenheit, die hängen bleibt. Und das Gefühl, dass selbst in der eisigsten Welt noch ein Funken brennen kann – sei es aus Wut, aus Hoffnung oder aus Liebe. Ganz anders kommt Wild Strawberry von Ire Yonemoto daher, zumindest auf den ersten Blick. Ein Manga, gezeichnet mit der für das Genre typischen Eleganz und Emotionalität, aber auch voller verstörender Bildgewalt.

Hier gibt es keine Maschinen, keine Kälte, sondern etwas viel Körperlicheres, etwas, das unter der Haut wächst: die Jinka. Parasitäre Pflanzenwesen, die sich Menschen als Wirt nehmen und irgendwann in einer grotesken, blutigen Blüte explodieren. Wer eine Jinka in sich trägt, lebt auf Messers Schneide. Kayano, die kleine Schwester von Protagonist Kingo, ist eine von ihnen. Doch Kingo weigert sich, sie aufzugeben. Er will ein Heilmittel finden, koste es, was es wolle – selbst wenn er dafür zum Monster werden muss. Was Yonemoto hier schafft, ist keine simple Horror-Fantasy. Es ist eine zutiefst emotionale, schmerzhafte Auseinandersetzung mit Verlust, Schuld, Familie – und der Frage, ob das Richtige immer auch das Menschlichste ist. Beide Geschichten, so unterschiedlich sie in Stil und Herkunft auch sein mögen, spiegeln einander in ihrer Grundstimmung. Sie zeigen Welten, in denen das Individuum kaum noch eine Chance hat – und gerade deshalb umso entschlossener kämpft. Avarus und Kingo sind sich in vielem ähnlich: Beide sind bereit, alles zu opfern, um jemanden zu retten, den sie lieben. Und beide stehen dabei vor einem Feind, der größer ist als sie selbst – KIEM auf der einen Seite, die Flower Funeral Force auf der anderen. Doch was bei aller Dramatik in beiden Werken immer wieder durchscheint, ist ein Moment von Zärtlichkeit. Ein Blick, eine Geste, ein Gedanke, der alles infrage stellt – und genau deshalb so kraftvoll wirkt. Message und Wild Strawberry sind keine Feel-Good-Geschichten. Sie tun weh, sie fordern, sie lassen einen nachdenklich zurück. Aber sie sind auf ihre je eigene Weise wunderschön. Sie zeigen, dass Dystopien nicht nur Schauplätze für Grausamkeit sind, sondern auch Räume für Menschlichkeit. Und dass selbst in der kaputtesten Welt manchmal genau das zählt: dass man für jemanden kämpft – bis zum Schluss.