mit den Werken „Dissolving Classroom“ von Junji Ito und „PigPen“ von Sick und Carnby Kim.

// Junji Ito’s Dissolving Classroom und Carnby Kim & Sick’s Pigpen zeigen auf besonders eindringliche Weise, wie breit gefächert das Genre Horror im Manga- und Manhwa-Bereich ist – und wie unterschiedlich sich von Angst erzählen lässt. Beide Bände stehen für zwei völlig verschiedene Formen des Schreckens und wirken, wenn man sie hintereinander liest, fast wie ein spannendes Zwiegespräch zwischen zwei Kulturen und zwei Erzählhaltungen. Bei Dissolving Classroom ist sofort spürbar, warum Junji Ito als Meister des surrealen Horrors gilt. Die Handlung klingt zunächst beinahe wie eine klassische Urban Legend: Ein Fluch, geboren aus dem Zorn eines Schlangendämons, legt eine ganz normale Schule lahm. Doch schon nach wenigen Seiten verwandelt Ito diesen vermeintlich überschaubaren Schrecken in etwas viel Größeres – einen kosmischen Albtraum, der den Zerfall von Moral und Gesellschaft spürbar macht. Seine Zeichnungen sind dabei ebenso kunstvoll wie gnadenlos:
Mit scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten und einigen schaurig-schönen Farbseiten treibt er den Leser immer tiefer in eine Welt, in der Gehirne schmelzen, Körper sich grotesk verformen und die Grenze zwischen Realität und Wahn in einem einzigen Strudel aus Angst und Faszination zerfließt. Was mich persönlich besonders fesselt, ist diese typische Ito-Mischung aus kindlich-absurden Ideen und abgründiger Konsequenz. Man beginnt fast spielerisch zu lesen – und merkt plötzlich, dass man längst in einem Strudel sitzt, der einen unaufhaltsam hinabzieht.

Pigpen von Carnby Kim und Illustrator Sick wählt einen fast gegenteiligen Zugang. Hier kommt der Schrecken nicht mit Donner und Knall, sondern schleicht sich leise an, fast unbemerkt – und ist gerade deshalb so wirksam. Ein junger Mann erwacht auf einer scheinbar paradiesischen Insel, ohne auch nur den kleinsten Faden seiner Erinnerung. Eine freundlich wirkende Familie bietet ihm Obdach, doch mit jeder Seite mehren sich kleine Risse in der Fassade. Blicke, die zu lange dauern, Gesten, die nicht ganz passen – alles deutet darauf hin, dass unter der makellosen Oberfläche etwas Dunkles lauert. Die komplett farbigen Zeichnungen wirken dabei fast wie eine trügerische Falle: Das leuchtende Blau des Himmels, das satte Grün der Vegetation, das weiche Licht des Strandes – all das verstärkt die Beklemmung, weil es so sehr nach Idylle schreit, während sich der Leser immer tiefer in ein Labyrinth aus Geheimnissen und psychologischen Abgründen verstrickt. Kim, bekannt durch Werke wie Sweet Home, spielt meisterhaft mit dem Unbehagen des Nicht-Wissens. Die Angst entsteht hier nicht aus dem, was man sieht, sondern aus dem, was man nicht sieht – und aus der Gewissheit, dass man den Menschen um einen herum nicht trauen kann. Gerade wenn man beide Werke direkt nacheinander liest, entsteht ein faszinierender Kontrast. Junji Ito steht für den japanischen Traditionsstrang des Horrors, der das Übernatürliche nicht scheut und aus dem Alltäglichen plötzlich monströse Dimensionen erwachsen lässt. Carnby Kim dagegen verkörpert den modernen koreanischen Psychothriller, der mit leisen Tönen und einem stetig wachsenden Gefühl von Paranoia arbeitet. Während Ito uns gnadenlos in einen Mahlstrom aus Körperhorror und kosmischem Schrecken reißt, zieht Kim den Leser in ein feines, fast unsichtbares Netz aus Misstrauen und Täuschung. Beide Bände zeigen damit zwei Seiten desselben Genres: das plötzliche, groteske Grauen und die langsam kriechende, nervenaufreibende Angst. Für mich war es ein kleines Experiment, beide Geschichten so eng beieinander zu lesen – und es hat sich gelohnt. Der wilde, surreale Albtraum von Dissolving Classroom hallt noch nach, wenn man längst in die stille, aber nicht weniger unheilvolle Welt von Pigpen eintaucht. Und umgekehrt lässt Kims subtiler Psychothriller die Wucht von Itos apokalyptischem Horror noch klarer hervortreten. Wer sich für Horror in all seinen Facetten interessiert, erlebt hier ein doppeltes Vergnügen: zwei herausragende Erzählungen, die sich gegenseitig verstärken und zeigen, dass Angst viele Sprachen spricht – und alle gleichermaßen fesselnd sein können.
UND WAS NUN?