// aufgelesen vol. (6)40 – „no way home“

mit dem Werk „No Way Home“ von T.C. Boyle. // Mit No Way Home legt T.C. Boyle seinen neuen großen Roman vor – ein Werk, das einmal mehr zeigt, warum er zu den genauesten Beobachtern menschlicher Abgründe zählt. Die Geschichte spielt in der trockenen Weite Nevadas, wo ein Mann, eine Frau und ein eifersüchtiger Ex-Liebhaber […]

mit dem Werk „No Way Home“ von T.C. Boyle.

// Mit No Way Home legt T.C. Boyle seinen neuen großen Roman vor – ein Werk, das einmal mehr zeigt, warum er zu den genauesten Beobachtern menschlicher Abgründe zählt. Die Geschichte spielt in der trockenen Weite Nevadas, wo ein Mann, eine Frau und ein eifersüchtiger Ex-Liebhaber in ein Netz aus Begehren, Misstrauen und Selbsttäuschung geraten. Schon auf den ersten Seiten spürt man, dass Boyle hier nicht einfach eine Dreiecksgeschichte erzählt, sondern ein psychologisches Kammerspiel in der Hitze der Wüste. Beim Lesen hatte ich sofort das Gefühl, in eine flirrende, zugleich beklemmende Atmosphäre hineingezogen zu werden. Terry, ein Arzt aus Los Angeles, zieht nach dem Tod seiner Mutter in ihr Haus nach Boulder City – ein Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint. Eigentlich will er das Haus verkaufen, doch dann begegnet er Bethany, einer Frau, die ohne viel zu fragen in sein Leben drängt und sich kurzerhand bei ihm einnistet. Zwischen beiden entsteht etwas, das man kaum Liebe nennen kann – eher eine Art Sog, eine gegenseitige Abhängigkeit, die nicht gut enden kann. Boyle beschreibt dieses fragile Zusammenspiel mit seiner typischen Mischung aus Ironie, Präzision und Empathie.

Kaum ein Autor versteht es so gut, alltägliche Situationen in moralische Ausnahmezustände zu verwandeln. Bethany bleibt rätselhaft, beinahe undurchsichtig – man weiß nie, ob sie Opfer oder Täterin ist, ob sie Nähe sucht oder nur Besitz. Jesse, ihr Ex-Freund, bringt schließlich das Pulverfass zum Explodieren. Seine Warnung „Sie ist Gift“ klingt zunächst übertrieben, entpuppt sich aber als bittere Wahrheit über alle Beteiligten: Jeder hier ist Gift – für sich selbst, für den anderen, für das fragile Gleichgewicht zwischen Verlangen und Vernunft. Was mich an No Way Home besonders beeindruckt hat, ist die Intensität, mit der Boyle seine Figuren aneinander ausrichtet. Es geht nicht um große Gesten, sondern um kleine, fast unscheinbare Verschiebungen: ein Blick, ein Satz, ein Zögern. Die Wüste, diese stille, gleißende Landschaft, wird zum Spiegel der inneren Verlorenheit. Je mehr sich Terry an Bethany bindet, desto stärker spürt man die Leere, die ihn antreibt. Boyle erzählt das alles ohne moralischen Zeigefinger, aber mit einem tiefen Gespür für die Tragik menschlicher Sehnsucht. Am Ende bleibt kein reines Opfer, kein klarer Täter. Wie so oft bei Boyle ist das Drama nicht von außen herbeigeführt, sondern liegt im Innersten der Figuren – in ihrem Bedürfnis, geliebt zu werden, und in ihrer Unfähigkeit, Liebe wirklich zu ertragen. No Way Home ist ein Roman über Obsession, Verlust und die Frage, ob man je wirklich „nach Hause“ kommen kann, wenn man innerlich schon längst unterwegs ist.