// aufgelesen vol. (5)98 – „fassaden“

mit den Werken „Fassaden“ und „Hybris“. // Es gibt Bücher, die beim Lesen sofort wie ein Scheinwerfer wirken – sie werfen grelles Licht auf Dinge, die man ahnte, aber vielleicht nicht sehen wollte. Hybris von Jake Tapper und Alex Thompson ist genau so ein Buch. Es ist keine gewöhnliche politische Reportage, kein seichtes Porträt eines […]

mit den Werken „Fassaden“ und „Hybris“.

// Es gibt Bücher, die beim Lesen sofort wie ein Scheinwerfer wirken – sie werfen grelles Licht auf Dinge, die man ahnte, aber vielleicht nicht sehen wollte. Hybris von Jake Tapper und Alex Thompson ist genau so ein Buch. Es ist keine gewöhnliche politische Reportage, kein seichtes Porträt eines alternden Politikers, sondern ein gnadenlos recherchiertes Stück Zeitgeschichte, das sich liest wie ein Thriller – nur dass die Konsequenzen real sind und bis heute nachhallen. Was dieses Buch so beunruhigend macht, ist nicht nur das Bild, das es von Joe Biden zeichnet – gebrechlich, abgeschirmt, oft überfordert –, sondern die erschütternde Einigkeit eines politischen Apparats, der sich entscheidet, all das zu ignorieren. Man spürt beim Lesen die zunehmende Dringlichkeit, mit der diese Geschichte erzählt wird. Das ist keine Abrechnung mit einer Einzelperson, sondern mit einem ganzen System aus Loyalität, Angst, Machterhalt.

Hier wird nicht mehr aufgedeckt, um zu verhindern – sondern, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. Und gerade weil die Autoren – beide renommiert, erfahren, klarsichtig – keine billige Sensation suchen, sondern mit akribischer Genauigkeit dokumentieren, wirkt das alles umso schmerzhafter. Biden ist hier nicht einfach ein tragischer Held oder ein greiser Strippenzieher – er ist ein Symptom. Und das System, das ihn schützt, ist das eigentlich Erschreckende. Dass ausgerechnet diese Entscheidung – die Kandidatur eines Mannes, der den Anforderungen vielleicht nicht mehr gewachsen war, letztlich zu der aktuellen Situation führte, all das liest sich wie ein Plot aus einer dystopischen Serie. Aber es ist passiert. Und Hybris bringt einen dazu, nicht mehr wegzusehen.

Nach dieser politisch so brutalen Lektüre war Fassaden von Lauren Elkin wie ein Wechsel in eine andere Frequenz – leiser, poetischer, aber nicht weniger eindringlich. Es ist eines dieser Bücher, das sich nicht mit einem Satz beschreiben lässt, weil es nicht auf eine Handlung, sondern auf ein Gefühl hin erzählt. Zwei Zeiten, zwei Frauen, zwei Küchen – das klingt zunächst unscheinbar. Aber schon nach wenigen Seiten merkt man: Dieses Buch ist ein vielschichtiges Gewebe aus Erinnerung, Körper, Architektur und gelebter Zeit. Anna, die sich nach einer Fehlgeburt in der Renovierung ihrer Küche verliert, begegnet Clémentine, jung, politisch, unbequem – und zwischen ihnen entsteht etwas Fragiles, etwas zwischen Nähe und Spiegelung. Und dann ist da Florence, in einer anderen Zeit, in einer anderen Küche, mit anderen Wünschen, aber ähnlichen Fragen. Mutter werden oder nicht? Bleiben oder gehen? Vertrauen oder schützen? Elkin schreibt diese Leben ineinander wie Ebenen eines Hauses, das schon viele Geschichten gesehen hat – und auch das macht Fassaden so besonders: Die Räume hier sind nicht nur Kulisse, sie sind Speicher, sie sind Körper. Es ist ein Roman über Frauen, über Verletzlichkeit und Widerstand, aber ohne Pathos. Eher tastend, manchmal schmerzhaft ehrlich, dann wieder zart und flirrend. Die Sprache von Elkin – in der deutschen Übersetzung von Eva Bonné wunderschön erhalten – ist dabei durchzogen von einer melancholischen Klarheit. Man liest nicht über Schicksale, man spürt sie. Es ist, als würde man einen alten Brief finden, den man nie geschrieben hat, und plötzlich verstehen, dass man nicht allein ist mit den eigenen Fragen. Und das bleibt – lange nach der letzten Seite. Zwei Bücher, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch auf ihre Weise beide den Zustand unserer Zeit beschreiben: das politische System, das zerfällt, während alle zusehen, und die inneren Systeme von Menschen, die versuchen, sich selbst zu reparieren, Stück für Stück.