// presswerke vol. (2)64 – „semi-charmed life“

mit der neuen Vinyl-LP von mgk (Machine Gun Kelly). // Es gibt Künstler, die sich über die Jahre treu bleiben – und es gibt jene, die sich immer wieder neu erfinden, manchmal radikal, manchmal mit Brüchen, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar scheinen. Machine Gun Kelly, inzwischen meistens schlicht als mgk unterwegs, gehört eindeutig zur zweiten […]

mit der neuen Vinyl-LP von mgk (Machine Gun Kelly).

// Es gibt Künstler, die sich über die Jahre treu bleiben – und es gibt jene, die sich immer wieder neu erfinden, manchmal radikal, manchmal mit Brüchen, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar scheinen. Machine Gun Kelly, inzwischen meistens schlicht als mgk unterwegs, gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Mit Lost Americana legt er ein Album vor, das man ohne Übertreibung als Wendepunkt in seiner Karriere bezeichnen kann – und vielleicht auch als den ehrlichsten Versuch, seine eigene Identität neu zu verhandeln. Schon die Leadsingle cliché gibt die Richtung vor: ironisch, bissig, aber auch introspektiv. Es ist kein einfacher Song, kein typischer Radiohit, sondern eine Art Selbstkommentar, der die Grenze zwischen Satire und Authentizität bewusst verwischt. Genau das zieht sich durch das gesamte Album – ein Spiel mit Rollen, Masken und Wahrheiten, das mal wütend, mal melancholisch, mal fast verspielt klingt. Musikalisch ist Lost Americana ein mutiger Mix. Man hört noch immer die DNA von Rap und Pop-Punk, die mgk groß gemacht haben, aber diesmal weht ein ganz anderer Wind durch die Songs. Staubige Gitarrenriffs treffen auf Anklänge von Country, hymnische Refrains wechseln sich mit fast filmischen Zwischentönen ab.

Es ist ein Soundtrack, der Bilder im Kopf erzeugt: alte Highways, Neon-Schilder über verstaubten Diners, endlose Nächte irgendwo zwischen Nostalgie und Selbstsuche. Dass er diesen amerikanischen Mythos nicht verklärt, sondern ironisch bricht, macht das Album besonders. Was mich beim Hören beeindruckt hat, ist die Balance zwischen Härte und Verletzlichkeit. Da sind Tracks, die mit einer fast überheblichen Energie daherkommen – nur damit gleich darauf Songs folgen, in denen mgk sich entblößt, über Verlust, Angst und Überforderung spricht. Es fühlt sich an, als würde man einem Künstler zuhören, der sich die eigene Haut Schicht für Schicht abzieht, um darunter etwas Wahrhaftiges zu zeigen. Als Vinyl funktioniert Lost Americana noch einmal stärker: Das Gatefold-Cover, das satte Rot der Platte – all das unterstreicht, dass es sich hier um ein Gesamtwerk handelt, nicht nur um eine Sammlung von Tracks. Man spürt, dass mgk ein Album machen wollte, das man bewusst hört, von Anfang bis Ende, ohne Skippen, ohne Shuffle. Lost Americana ist nicht einfach nur das nächste Kapitel in der Karriere von mgk – es ist eine Neugeburt. Ein Album, das den Mut hat, große Themen wie Identität, Selbstentfaltung und kulturelle Zerrissenheit in Musik zu gießen, ohne dabei belehrend zu wirken. Wer mgk bisher nur als Rapper oder Pop-Punk-Posterboy kannte, wird überrascht sein, wie viel Tiefe und erzählerische Kraft er hier entfaltet und darf sich zusätzlich über eine spannende Neuinterpretation des Third Eye Blind-Klassikers „Semi-Charmed Life“ freuen. Genauso klingt ein Künstler, der sich selbst gefunden hat, indem er sich verloren hat.