// aufgelesen vol. (6)27 – „die sprache meines bruders“

mit dem für den Deutschen Buchpreis nominierten Werk „Die Sprache meines Bruders“ von Gesa Olkusz. // Gesa Olkusz erzählt in Die Sprache meines Bruders eine Geschichte, die auf den ersten Blick schlicht wirkt, die sich aber schon nach wenigen Seiten als von tiefer poetischer Kraft erweist. Zwei Brüder, Parker und Kasimir, die mit ihrer Mutter […]

mit dem für den Deutschen Buchpreis nominierten Werk „Die Sprache meines Bruders“ von Gesa Olkusz.

// Gesa Olkusz erzählt in Die Sprache meines Bruders eine Geschichte, die auf den ersten Blick schlicht wirkt, die sich aber schon nach wenigen Seiten als von tiefer poetischer Kraft erweist. Zwei Brüder, Parker und Kasimir, die mit ihrer Mutter aus Polen in die USA ausgewandert sind, stehen im Mittelpunkt – und mit ihnen die Sprachlosigkeit, die Einsamkeit und das enge, fast erdrückende Band zwischen ihnen. Während Parker nachts als Chauffeur unterwegs ist, zieht Kasimir sich ganz in die Innenräume zurück, unfähig oder unwillig, hinauszugehen. Ihre Mutter, deren Hoffnung auf ein besseres Leben in Amerika in Resignation und Lebensmüdigkeit zerbrochen ist, hat den beiden Brüdern eine Welt hinterlassen, die nur aus Pflichten, Routinen und Schweigen besteht.

Es ist eine wortlose Nähe, die fast schon wie eine eigene Sprache funktioniert, eine, die Außenstehende nicht verstehen können – bis Luzia auftaucht, eine Vagabundin voller Vitalität, die in ihrer Ungebundenheit genau das verkörpert, was den Brüdern fehlt. Sie bringt Leichtigkeit und eine Spur von Abenteuer in die enge Symbiose, bricht sie zugleich aber auch auf. Als Luzia verschwindet und nach Panama geht, wird die Zäsur endgültig: Kasimir, der das Haus bisher nie verlassen hat, begibt sich auf die Suche. Dieser Moment ist wie eine stille Explosion, ein Aufbrechen von Grenzen, das lange angedeutet war. Olkusz gelingt es, diese Konstellation in einer Sprache zu fassen, die glasklar und dabei hoch poetisch ist. Es gibt keine überflüssigen Verzierungen, keine lauten Gesten – und gerade darin liegt die Intensität. Die Brüder wirken wie Figuren, die aus einer mythischen Erzählung in die Gegenwart gefallen sind, und Luzia wie ein Katalysator, der die erstarrte Ordnung durcheinanderbringt. Ich empfand den Roman beim Lesen als sehr filmisch, fast bildhaft: Nachtszenen auf den Straßen, enge Zimmer, ein plötzlicher Aufbruch in eine ferne Welt. Mich hat Die Sprache meines Bruders besonders wegen seines leisen Tones berührt. Es ist eine Geschichte von Migration, Fremdheit und Sprachlosigkeit – aber eben auch von der Möglichkeit, dass selbst die verschlossensten Räume aufbrechen können. Dass Olkusz neben Philosophie auch Interkulturelle Kommunikation studiert hat, spürt man zwischen den Zeilen: Ihr Blick auf das Schweigen, auf die feinen Nuancen des Nichtgesagten, ist von einer großen Genauigkeit und Empathie. Das Buch wirkt wie ein zarter, aber nachhaltiger Widerhall, der sich in einem festsetzt, gerade weil es nicht laut ist.