mit den Werken „Wild Strawberry“ (Band 2) und „Ibitsu“.

// Lust auf einen spannenden Doppelpack? Beide Mangas – Haruto Ryo‘s Ibitsu und Ire Yonemoto’s Wild Strawberry – lassen sich wunderbar nebeneinander betrachten, weil sie auf sehr unterschiedliche Weise das gleiche Grundgefühl beschwören: die Angst vor dem Unbekannten, das plötzlich in den Alltag bricht und ihn unwiderruflich verändert. In Ibitsu von Haruto Ryo beginnt alles mit einer scheinbar einfachen, fast schon urbanen Legende. Ein Mädchen im Kleid, das Passanten mit einer verhängnisvollen Frage konfrontiert, wirkt zunächst wie eine klassische Geistergeschichte – und doch gelingt es dem Autor, diese Idee so zuzuspitzen, dass sie tief ins Unbewusste greift. Kazuki, der skeptische Student, der eigentlich nicht an Übernatürliches glaubt, wird nach und nach in eine Welt hineingezogen, die er weder kontrollieren noch rational erklären kann.
Das Mädchen sitzt inmitten von Müllbergen, ein Bild, das schon für sich ein Symbol der Verwesung, der Dekadenz, vielleicht auch der Schuld ist. Von da an verschwimmen Realität und Wahn. Haruto Ryo spielt dabei nicht mit schnellen Schockeffekten, sondern mit einem subtilen, psychologisch dichten Horror, der dem Leser das Gefühl gibt, selbst verfolgt zu werden. Dass die deutsche Übersetzung von Burkhard Höfler die dichte Atmosphäre des Originals bewahrt, macht das Werk für ein deutschsprachiges Publikum besonders eindringlich.

Wild Strawberry von Ire Yonemoto wirkt auf den ersten Blick völlig anders – hier geht es nicht um eine urbane Legende, sondern um ein apokalyptisches, fast schon biopunkhaftes Szenario. Die Jinka, parasitäre Organismen, die Menschen befallen und schließlich in einer grausamen Blüte aus Blut und Blättern enden lassen, sind ein Konzept, das gleichermaßen ekelerregend wie faszinierend ist. Inmitten dieser Welt bewegt sich Kingo, der verzweifelt versucht, seine Schwester Kayano zu retten, die nun als Parasit in ihm weiterlebt. Die Geschichte ist körperlicher, brutaler als die von Haruto Ryo, sie lebt von drastischen Bildern und von Kämpfen, die an klassische Action-Mangas erinnern – und doch bleibt sie ebenso stark im Horror verankert. Denn die wahre Bedrohung liegt nicht in der körperlichen Gewalt, sondern in der ständigen Angst vor dem Kontrollverlust, vor der eigenen Verwandlung, vor dem Moment, in dem das Fremde im eigenen Körper das Kommando übernimmt. Setzt man Ibitsu und Wild Strawberry in Beziehung, wird deutlich, dass sie zwei Seiten derselben Medaille darstellen. Ibitsu zeigt den Horror von außen: eine geheimnisvolle Gestalt, die ins Leben tritt und es wie ein Schatten zersetzt. Wild Strawberry dagegen zeigt den Horror von innen: das Fremde, das im eigenen Körper wächst und droht, Identität und Menschlichkeit zu zerstören. Gemeinsam verdeutlichen sie, wie vielfältig der japanische Horror im Manga sein kann – von der psychologisch feinen Andeutung bis zur körperlichen Eskalation. Gerade dieser Kontrast macht die beiden Veröffentlichungen spannend für alle, die das Genre nicht nur als Schockelement verstehen, sondern als Spiegel von Ängsten, die uns alle betreffen: die Angst, die Kontrolle zu verlieren, die Angst vor Isolation, die Angst vor dem Moment, in dem das Gewohnte kippt und etwas Fremdes seinen Platz einnimmt. Ob durch ein unheimliches Mädchen oder durch parasitäre Blüten, die in Menschenkörpern sprießen. Also viel Spaß beim Gruseln. Bis zu unserem nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?