// presswerke vol. (2)74 – „little girl“

mit der neuen Vinyl-LP von The Red Flags. // Es gibt Alben, die sofort ein Gefühl von Aufbruch und Ungezähmtheit transportieren – The Red Flags liefern mit Self-Centred And Delusional genau so ein Brett ab. Kaum liegt die Vinyl auf dem Plattenteller, wird klar: Hier will sich eine junge Band nicht anpassen, sondern ihre eigenen […]

mit der neuen Vinyl-LP von The Red Flags.

// Es gibt Alben, die sofort ein Gefühl von Aufbruch und Ungezähmtheit transportieren – The Red Flags liefern mit Self-Centred And Delusional genau so ein Brett ab. Kaum liegt die Vinyl auf dem Plattenteller, wird klar: Hier will sich eine junge Band nicht anpassen, sondern ihre eigenen Regeln schreiben. Zwischen Grunge, Punk und Alternative Rock reißen Polly (Gesang), Murphy (Gitarre), Joe (Bass) und Mika (Drums) in ner guten Dreiviertelstunde jede Schublade auf und kippen sie mit Wucht aus. Man spürt in jedem Song, dass die vier Musikerinnen ihre ersten Schritte nicht in Hochglanz-Musikstudios, sondern auf kleinen Bühnen gemacht haben – angefangen von der Schulaula bis hin zu Festivals wie Rock am Ring. Diese Live-Energie steckt noch immer in ihren Songs: Little Girl eröffnet das Album mit kratzbürstiger Direktheit, während Sea Of Atlas die ruppige Kante des Punk mit einer fast hymnischen Weite verbindet. In Central Station (Mind the Gap) schlägt ein zorniger Großstadtpuls, und Hysterical Woman wirkt wie eine selbstbewusste Ohrfeige gegen alle, die weibliche Wut kleinreden wollen.

Produzent Moses Schneider – bekannt dafür, rohe Energie eher rauszukitzeln, statt sie zu glätten – hat den Sound genau richtig eingefangen: verzerrte Gitarren, ein Bass, der nicht nur unterlegt, sondern antreibt, und Drums, die zwischen knallhartem Punk und treibendem Alternative-Rock pendeln. Polly trägt das Ganze mit einer Stimme, die zwischen rotzigem Ausbruch und verletzlicher Klarheit wechselt, als würde sie im selben Atemzug schreien und flüstern. Lyrisch wird nichts weichgespült: Die Band singt über Feminismus, Identität, ungleiche Chancen und den ganz normalen Wahnsinn zwischenmenschlicher Beziehungen. Red Gauloises riecht nach kaltem Zigarettenrauch und nächtlichen Gesprächen, Made Of Glass ist eine fragile, fast balladeske Momentaufnahme, während Valentine’s Day bitter-süß mit dem Mythos romantischer Liebe abrechnet. Auf der B-Seite gehen Wish und I’m Just A Kid mit jugendlicher Verzweiflung nach vorn, Pacify klingt wie ein wütendes Mantra, und Solar System schließt das Album mit einer weiten, fast kosmischen Melancholie ab. Man könnte meinen, eine so junge Band – gegründet erst 2022 – müsste sich noch finden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Self-Centred And Delusional klingt, als hätten The Red Flags schon seit Jahren Bühnenbretter zum Beben gebracht. Ihre Mischung aus ungebändigter Energie und klarer Haltung macht süchtig, weil sie so kompromisslos authentisch ist. Es ist diese Mischung aus wütendem Punk, nachdenklichem Alternative und einer unerschütterlichen Selbstsicherheit, die den vier Musikerinnen nicht nur den Support-Slot für Turbostaat und Tocotronic eingebracht hat, sondern sie jetzt schon zu einer der spannendsten neuen Stimmen der deutschen Indie-Rock-Szene macht. Diese Platte fühlt sich an wie ein ungestümer Befreiungsschlag – roh, politisch, persönlich. Und genau deshalb sollte man sie laut hören: weil sie daran erinnert, dass Musik immer noch ein Ort sein kann, an dem Wut, Zweifel und Euphorie gleichzeitig Platz finden.